EM 2008
Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. So auch die EM. In den Augen der Geschäftswelt funkeln die Dollarzeichen schon lange vorher. Systematisch werden die Leute mit Fanartikel jeglicher Art konfrontiert. Jeder muss schließlich rechtzeitig zu Beginn der EM ausgerüstet sein. Die Fahnen sind hierbei selbstverständlich ein Muss! Jeder der auch nur annähernd etwas von Fußball versteht, klemmt sie sich an die Autoscheibe. Waren die meisten Leute vor 2 Jahren noch mit einer Fahne zufrieden, flattern sie heute an beiden Seiten der Autos.
Auch ich konnte mich dem Gruppenzwang nicht entziehen. Allerdings befestigte ich sie am Fahrradkorb meines Fahrrades, da ich angesichts der Benzinpreise zu 99,9% das Fahrrad benutze. Da mein Auto ein vornehmes Garagendasein führt,und zudem nur bei gutem Wetter das Tageslicht erblicken darf, ist es somit völlig sinnfrei, es in der Garage zu beflaggen. Aber dies nur nebenher.
Neben den Fahnen kann der Fußballfan sich noch mit allerlei unnützen Dingen wie Schals, winkende Hände, Papierlampions, Farbe zum Anmalen und vieles mehr, eindecken.
Erstaunlicherweise hat die Nahrungsindustrie in diesem Bereich noch nicht so wirklich reagiert. Denkt man an Ostern und Weihnachten, wo uns die Hasen und Nikoläuse schon Monate vorher in den Supermärkten entgegengrinsen, fehlt es hier bei der EM völlig an Einfällen.
Dabei könnte man sich gerade in diesem Bereich so richtig ausleben. Eine leckere Fußballwurst oder nett kolorierte Buletten. Bei den Süßigkeiten sind die Möglichkeiten schier unbegrenzt. Man denke an eine 11er Serie von Schokoladenfußballspieler. Da könnte dann so manches Mädchen oder weibliche Teenies ihre Favoriten ungehemmt vernaschen. Schließlich sind die Fußballhelden im wirklichen Leben unerreichbar.
Auch die Medien haben schon längst erkannt, wie wichtig es ist, mit den richtigen Texten sich jeden Tag medienwirksam ins rechte Licht zu rücken, um die Auflage bei solchen Ereignissen zu steigern. Auf der Titelseite prangern nach einem siegreichen Spiel die Fußballhelden, es fehlt auf keinen Fall der Hinweis auf eine ausführliche Reportage im Sportteil. Der Sportmuffel muss schon sämtliche Augen nebst Hühneraugen deaktivieren, um an die Berichte vorbeischauen zu können. Selbst dann wird es ihm nicht gelingen. Beschränkt er sich beim morgendlichen Zeitungslesen nur noch auf die Todesanzeigen, wird er spätestens beim abendlichen Spaziergang brutal in die Fußballwirklichkeit zurückgeholt. Denn beim Public Viewing oder zu Deutsch Rudelgucken, stößt er überall auf große bis übergroße Leinwände, die von fußballbegeisterten Anhängern umlagert werden.
Selbstverständlich ist es eine Pflicht der Gastronomen dafür zu sorgen, dass keiner bei den Spielübertragungen verhungert oder verdurstet. Um dieses zu verhindern, werden keine Mühen gescheut. Buden mit Zapfanlagen werden aufgebaut, fahrbare Pommesbunker sorgen für die nötige Nervennahrung während der Spielübertragung. Dass dabei natürlich für die geschäftstüchtigen Wirtsleute Extragewinne abfallen, sei ihnen gegönnt. Schließlich findet so ein Spektakel nur alle zwei Jahre statt. Außerdem ist jeder dumm, der auf so einen lukrativen Zug nicht mit aufspringt. Wichtig ist hierbei natürlich, von Anfang an dabei zu sein, schließlich weiß ja niemand, wie lange die Kicker durchhalten. Ein Traum wäre natürlich bis ins Finale. Aber Träume zerplatzen häufig, wie Seifenblasen. Darum ist jedes Spiel wichtig, damit das Geld den Besitzer wechseln kann. Natürlich ganz legal.
Die Nachrichten im Fernsehen werden von König Fußball regiert. Alles wirklich wichtige mutiert zu kleinen Randbemerkungen, so dass für das Thema Sport viel Sendezeit übrig bleibt. Schließlich ist es von existentieller Bedeutung, dass der Bundestrainer nicht im Viertelfinale auf der Trainerbank sitzen darf. Wenn interessiert es da ernsthaft, dass etliche Bundesstaaten in den USA unter Wasser stehen? Die Gedanken verweilen bei dem
Co-Trainer, der nun eine schwere Aufgabe vor sich hat. Nur nebenher wird registriert, dass die Politiker wieder einen Angriff auf den Geldbeutel der Bürger starten. Viel wichtiger ist es doch, dass die Spieler auch ohne Anweisung ihres Trainers ins Halbfinale kommen. Da wird gezittert und gebetet. Mit hypnotisierenden Augen wird auf die übergroßen Leinwände geschaut, um den Spielern die Bälle vor die Füße zu wünschen. Selbstverständlich ist, dass jeder Zuschauer die Fehler, die die Spieler machen, selbst nicht gemacht hätten. Überhaupt kann und weiß jeder Fußballfan sowieso alles besser. Alle – schätzungsweise- 40 Millionen Fans sind absolute Profis. Das bei dieser Angelegenheit erst gar keine Zweifel aufkommen. Deswegen ist bei solch einem Turnier die Weltpolitik auch total zweitrangig. Hier kann man mitreden, da kennt man sich aus. Da weiß man, wovon man spricht!
Fußball ist einfach Kult.