Januar 12

Corona

 
 

Corona, du Krone

Du bist nicht ohne!

Kamst heimlich auf die Welt

Und machst nun was dir gefällt.

Die Welt hält den Atem an,

Weil sie gegen dich nichts machen kann.

Eroberst sie mit Leichtigkeit.

Zur Gegenwehr ist niemand bereit.

In jedem Land bist du zuhaus,

Den Menschen indes bist du ein Graus!

Überfällst sie mit Gewalt,

Vor nichts machst du Halt!

Aber sofort wurde experimentiert

und rasch ein Serum präsentiert,

Mit dem soll es dir nun an den Kragen

Denn den kannst du nicht vertragen.

Doch bis der wirksam wird

Bist du schon längst mutiert!

Kannst getrost auf dein Werk blicken

Und noch viele ins Verderben schicken!

Alles geschlossen, alles zu,

Du verbreitest dich weiter in aller Ruh!

Alles was die Menschen auch machen

Bringt dich doch nur zum Lachen!

Denn Unfähigkeit ist, was regiert

Und den Menschen nur Ausreden serviert.

Tröpfchenweise kommt das Serum an,

Was die große Not nicht lindern kann!

Dein Werk ist wirklich phänomenal!

Katastrophen überall!

Die Menschen in höchster Not,

Eile wäre eigentlich das höchst Gebot.

Doch man schaut auf das Geld

In dieser ach so korrupten Welt!

Reden und diskutieren,

Ein Glück für deine Viren!

Einschränkungen ist das Wort der Stunde

Immer neue Ideen machen die Runde.

Grundrechte weggefegt

Und auf irgendwann verlegt!

Trotzdem geht alles munter

Den Bach herunter!

Wie sollte es auch anders gehen

Wenn die Politiker sich im Kreise drehen!

Lieber wird sanktioniert

Wenn einer nicht pariert!

Masken tragen und schweigen!

Diese Devise ist ihnen zu eigen.

Dabei ist die Rettung so nah

Denn das Serum ist doch da!

Aber die Welt steht still

Weil Corona es so will!

Warum?

August 13

Die Wahrheit

Die Wahrheit

Die Wahrheit ist oft unbequem

den Politikern selten genehm

und gefällt sie ihnen nicht

landet sie schnell vor Gericht

wo sie dann mit gemeiner List

tituliert wird als Terrorist!

*

Der Richter, vom Staat bestellt

urteilt wie es den Politikern gefällt

ansonsten ist er ein Sympathisant

und der Posten wird ihm aberkannt!

Zum Glück kann er einen Joker ziehn

denn die alternative Wahrheit rettet ihn.

*

So hat sie es wahrlich schwer

im ach so korrupten Meer

gefüllt mit Selbstherrlichkeit

Machtgier und Besessenheit

verschlungen von gieriger Macht

die aus Wahrheit Lüge macht!

*

Wo die Lüge zur Wahrheit wird

wird die Freiheit eliminiert!

November 5

Nit

Nit

Es war einmal ein älteres, kinderloses Ehepaar. Sie bewohnten eine kleine Wohnung in einem großen Mietshaus. Ihre Rente war klein, sodass sie sich nicht viele Wünsche erfüllen konnten. Ihr Alltag plätscherte farblos dahin, wie das Wasser eines großen Flusses, dass sich monoton durch das Flussbett quält.

Eines Tages machte die Frau ihrem Mann den Vorschlag, sich einen kleinen Hund zuzulegen.

Ihr Mann schaute vom Fernseher auf, in dem gerade eine Sendung über getunte Autos lief und fragte sie, warum sie unbedingt einen Hund haben wolle. Daraufhin erklärte seine Frau ihm, dass ihr Leben zu eintönig sei. Sicherlich würden sie dann regelmäßig spazieren gehen, träfen andere Leute mit Hunden, würden sich mit ihnen unterhalten und der Tag bekäme einen neuen Sinn und wäre nicht so langweilig.

Der Mann seufzte und meinte, dass er eigentlich ganz zufrieden sei, so wie es jetzt war, denn seit seinem letzten Herzinfarkt war er sehr träge und häuslich geworden. Doch er willigte ein, denn er wollte, dass seine Frau glücklich war. So machten sie sich am nächsten Tag auf und gingen zum nächsten Tierheim.

Dort herrschte ein munteres Treiben. Die Tierpfleger huschten von einem Käfig zum nächsten, um die Tiere zu füttern, die sich mit lautem Gebell bemerkbar machten. In einem der Käfige saß ein kleiner, pechschwarzer Hund und schaute mit traurigen Augen durch die Gitterstangen. Die Frau verlor sofort ihr Herz an dieses kleine Geschöpf. Die Tierpflegerin, die die beiden durch die Räume geführt hatte, meinte daraufhin, dass es noch ein sehr junger Hund sei, der noch dressiert und erzogen werden müsse.

Doch die Frau erwiderte nur freudig, sie würde sich gerne um alles kümmern. Ihr Mann zuckte ergeben mit den Schultern und so war es eine beschlossene Sache, diesen Hund mitzunehmen. Nach den notwendigen Formalitäten schloss die Frau Nit, so hieß der kleine Hund überglücklich in die Arme und drückte ihn an sich.

Liebevoll sorgte die Frau sich um Nit, der sehr klug und lernwillig war. Durch ihn wurde der Alltag wieder bunter und lebhafter. So vergingen zwei Jahre. Nit war zu einem stattlichen Hund herangewachsen, sehr zum Missfallen des Hausmeisters, der überhaupt keine Hunde mochte. Doch jener hatte keine Handhabe, etwas gegen Nit zu unternehmen, da in dem Haus Hunde erlaubt waren.

Eines Tages machte das Ehepaar, wie immer seit Nit bei ihnen wohnte, ihren üblichen Spaziergang im Stadtpark. Die Frau fühlte sich seit einiger Zeit nicht sehr wohl, doch sie ignorierte dieses, denn sie genoss die gemeinsamen Sparziergänge sehr. Plötzlich stolperte sie über eine Baumwurzel, die sie übersehen hatte und stürzte. Sie schrie auf vor Schmerzen. Zum Glück hatte ihr Mann sein Handy eingesteckt und rief sofort den Krankenwagen. Auf Bitten des Mannes hin durfte er im Krankenwagen mitfahren. Als Nit, der wie immer mit anderen Hunden herumtobte, zurückkam, fand er weder sein Herrchen noch sein Frauchen. Verwirrt schaute er sich um und machte sich auf der Suche nach ihnen. Seine Nase suchte den Boden ab, doch die Spur endete abrupt an einer Stelle, die nach Abgasen roch, was ihn zum Niesen brachte. Er hob den Kopf und entdeckte einen Hasen, der Hakens schlagend über die Wiese lief. Bellend verfolgte er ihn und vergaß, dass er seine Besitzer vermisste. Er streunte durch den Wald bis es dunkel wurde. Sein Magen erinnerte ihn irgendwann daran, dass er fressen musste. So kehrte er zurück zu der Stelle, wo er immer frei gelassen wurde. Doch niemand wartete dort auf ihn. Traurig setzte er sich hin und wartete. Sein Magen knurrte. Er stand wieder auf und schnupperte in dem nächsten Papierkorb. Dort fand er ein weg geworfenes Stück Brot, dass er fraß. Natürlich machte es ihn nicht satt, darum schnüffelte er suchend umher, um noch etwas zu finden. Inzwischen war es so dunkel geworden, dass er nichts mehr sehen konnte. Darum suchte er sich eine geschützte Stelle, rollte sich zusammen und schlief. Es dauerte fast eine Woche, bis er den Weg nach Hause gefunden hatte.

Überglücklich erblickte er das vertraute Mietshaus. Er lauerte auf den Augenblick, wo die Eingangstür aufging, damit er hinein huschen konnte. Als ein Kind herauskam, sauste er so schnell er konnte die Treppe hinauf und sprang bellend an die Wohnungstür. Doch niemand öffnete. Er kratzte mit seinen Tatzen und bellte und jaulte, doch die Tür blieb verschlossen. Dafür öffnete sich die Tür vom Hausmeister, der wütend hinausschaute und den Hund anfuhr. Nits Nackenhaare sträubten sich, denn natürlich spürte er sofort die Feindseligkeit, die dieser unangenehme Mensch ausstrahlte. Nit drückte sich an die Wohnungstür und hoffte sehnlich, dass sie sich öffnet. Stattdessen trat der Hausmeister ganz aus seiner Wohnung heraus, scheuchte Nit von der Tür weg und öffnete sie mit einem Schlüssel. Sofort drängelte sich Nit an ihn vorbei in die Wohnung. Sein Schwanz wedelte freudig, während er von einem Raum in den nächsten lief. Doch es war niemand da. Der Hausmeister ergriff Nits Leine und befahl ihm zu kommen. Nit schaute ihn skeptisch an und blieb auf Abstand. Daraufhin ging der Hausmeister in die Küche und suchte nach Futter für Nit. Als er es gefunden hatte, schüttete er es in den Fressnapf. Da Nit ziemlich ausgehungert war, stürzte er sich sofort darauf. Der Hausmeister ließ ihn alles auffressen und schaffte es dann, Nit die Leine anzulegen, in dem er ihn mit freundlichen Worten bedachte. Die beiden verließen die Wohnung wieder und der Hausmeister verfrachtete Nit in sein Auto. Dann fuhr er mit ihm zu einem großen Waldgebiet. Dort stieg er aus und ging mit Nit an der Leine tief in den Wald hinein. Als der Hausmeister der Meinung war, dass dort selten ein Mensch hinkommen würde, band er die Leine an einem Baum fest, gab Nit einen Tritt und lachte höhnisch und verschwand.

Nit jaulte und versuchte, loszukommen, doch die Leine gab nicht nach. So verging der Tag und es wurde Nacht. Als ein neuer Tag anbrach, versuchte Nit wieder vergeblich, sich zu befreien. Verzweifelt riss er an die Leine, sodass das Halsband ihm die Kehle zuschnürte und er kaum Luft bekam. Er bellte und jaulte. Doch niemand hörte ihn. Wieder verging der Tag, ohne dass er Hilfe bekam. Sein Magen schmerzte inzwischen vor Hunger, aber der Durst war noch schlimmer. Als wieder ein Morgen graute, fing er an, seine Leine zu zerbeißen. Sein Maul war so trocken, dass ihm jeder Biss schmerzte. Doch es gelang ihm, sie durchzubeißen. Glücklich, endlich nicht mehr gefangen zu sein, schnüffelte er in die Luft. Er hatte Durst. Wo gab es Wasser? Er spitzte die Ohren, um das Geräusch von fließendem Wasser zu hören. Doch er hörte nur das Zwitschern der Vögel hoch in den Bäumen. Müde und schlapp bahnte er sich den Weg durch das Gestrüpp. Immer wieder verfing sich der Rest der Leine an einem Ast, sodass er ziehen musste, um weiter zu kommen. Aus weiter Ferne hörte er ein Grollen. Dann wurde es taghell und ein Blitz zuckte am Himmel, gefolgt von einem gewaltigen Donner. Er jaulte vor Schreck auf und kroch unter einem Busch. Kurz darauf prasselte der Regen auf die Bäume. Doch nur wenige Tropfen schafften es den Weg durch das dichte Laub der Bäume auf die Erde. Nit leckte die feuchten Blätter ab, die sanft zum Boden segelten. Als das Gewitter abgezogen war, traute sich Nit aus seinem Versteck hervor und lief weiter. Auf einer Lichtung blieb er stehen und schnüffelte. Er roch Wasser. Er folgte seiner Nase und entdeckte eine vom Regen gebildete Pfütze. Gierig trank er und löschte seinen Durst. Doch er hatte immer noch bohrenden Hunger. Zwei kleine, junge Hasen hoppelten auf die Lichtung und spielten in den letzten Sonnenstrahlen des Tages miteinander. In Nit erwachte der Jagdinstinkt. Er duckte sich und beobachtete die beiden. Als einer der Hasen ihm zu nahe kam, schoss er hoch und packte ihn im Nacken. Mit einem Biss brach er dem kleinen Hasen das Genick. Der andere Hase flitzte entsetzt ins Gebüsch. Heißhungrig verschlang Nit seine Beute. Nit streunte durch den Wald, immer auf der Suche nach Futter und nach einem Weg zurück nach Hause.

So vergingen Wochen. Sein Fell war inzwischen stumpf und glanzlos. Seine Flanken waren eingefallen, sein Hals so dünn geworden, dass er sich das Halsband mit den Pfoten abstreifen konnte.

Eines Tages hörte er eine leise weinerliche Stimme. Er spitzte seine Ohren und folgte dem Geräusch. Ein kleiner Junge war unter einem umgestürzten Baum gekrabbelt und steckt nun fest. Er konnte sich nicht aus eigener Kraft befreien. Nit ging zögernd auf ihn zu. Er betrachtete das hilflose Kind, doch er konnte ihn natürlich nicht befreien. Aufgeregt lief Nit hin und her. Was konnte er tun? Dieser Junge erinnerte ihn an sein altes Leben. An die vielen Spaziergänge mit seinem Herrchen und Frauchen. An lachende Kinder, die mit den Hunden spielten. Doch dieses Kind lachte nicht, es weinte. Nit spürte die Verzweiflung. Vorsichtig näherte er sich. Der Junge streckte seine Arme aus und sprach ihn an. Aus jedem Ton konnte Nit pure Angst erkennen. Doch er spürte, dass nicht er der Grund war. Da es dunkel wurde und die Nächte inzwischen kalt waren, legte Nit sich behutsam zu dem Jungen, um ihn zu wärmen. Das Kind schlang seine Arme um ihn und beruhigte sich. So verging die Nacht und der nächste Tag brach an. Der kleine Junge weinte wieder.

Plötzlich hörte Nit Stimmen. Sie klangen verzweifelt. Nit richtete sich auf. Sein Instinkt sagte ihm, dass diese Stimmen den kleine Jungen suchten. Er bellte so laut er konnte, doch die Stimmen wurden immer leiser und entfernten sich von ihnen. Er wurde unruhig. Sollte er den Stimmen folgen oder beim Kind bleiben. Er hob seine Schnauze in die Höhe und heulte herzzerreißend. Dann sprang er mit einem Satz auf und jagte in den Wald hinein, den rufenden Stimmen hinterher. Als er sie endlich erreicht hatte, bellte er und machte auf sich aufmerksam. Doch die Reaktion der suchenden Menschen war anders, als er erwartet hatte. Einige ignorierten ihn und andere warfen Stöcke oder was sie auf den Boden fanden nach ihm, um ihn zu vertreiben. Er jaulte und bellte weiter. Eine Frau blieb stehen und sah ihn stirnrunzelnd an. Dann ging sie auf Nit zu und sprach ihn mit sanfter Stimme an. Nit hörte, wie ein Mann die Frau warnte nicht weiterzugehen, doch sie beachtete ihn nicht. Sie sprach weiter auf Nit ein und fragte ihn, ob er ihren Sohn gesehen hätte. Nit bellte und machte kehrt und lief ein Stück zurück. Dann blieb er stehen und schaute, ob sie ihm folgte. Doch sie war stehen geblieben und schaute nur ratlos zu ihm hin. Nit rannte auf sie zu, machte kurz vor ihr kehrt und lief wieder ein Stück zurück. Dann blieb er wieder stehen, um zu schauen, ob sie ihm folgte. Doch nun hatte sie begriffen und folgte ihm. Der Mann, der sie vor ihm gewarnt hatte, rief besorgt hinter ihr her, doch sie nahm es nicht mehr wahr sondern rannte nun so schnell sie konnte hinter Nit her, der bellend voraus lief. Immer wieder musste Nit warten, damit die Frau ihn nicht aus den Augen verlor. Endlich erreichten sie den kleinen Jungen, der leise vor sich hin weinte. Doch als er die beiden erblickte, strahlte sein Gesicht vor Freude. Er drückte Nit, der schwanzwedelnd zu ihm lief, fest an sich. Die Frau gab einen Freudenschrei von sich und kniete sich glücklich zu ihrem Sohn. Vergeblich bemühte sie sich, ihren Sohn aus der misslichen Lage zu befreien. So zog sie letztendlich ihr Handy heraus und telefoniert aufgeregt, um die Suchenden zu informieren. Allerdings schaute sie ratlos um sich, als sie gefragt wurde, wo sie sich befinden würde. Sie hatte nämlich, als sie Nit folgte, nicht auf den Weg geachtet. Liebevoll streichelte sie Nit und bat ihn, die anderen zu suchen und ihnen den Weg zu zeigen. Nits kluge Augen schauten sie an. Dann bellte er und verschwand. Voller banger Hoffnung schaute die Frau hinter Nit her. Dann umarmte sie wieder ihren Sohn und tröstete ihn, denn er war wieder angefangen zu weinen, da ihm sein Fuß sehr weh tat. Kriechend verging die Zeit, die Bäume warfen schon lange Schatten, als die beiden das Gebell des Hundes hörten. Das Herz der Frau klopfte bis zum Hals. Hatte der Hund es tatsächlich geschafft, die anderen hier herzubringen?

Unter eilenden schweren Schritten knackte morsches Holz. Dann erblickte die Frau ihren Mann. Mit Tränen erfüllten Augen deutete sie auf ihren Sohn. Der Mann schaffte es, den Sohn unter dem Baum hervorzuziehen. Der kleine Junge schrie vor Schmerzen, als der Fuß dadurch bewegt wurde. Offensichtlich hatte er ihn gebrochen. Mühelos nahm der Mann seinen Sohn auf den Arm und so verließen sie den Wald, begleitet von Nit. Denn natürlich hatten sie es sich nicht nehmen lassen, ihn aufzufordern, ihnen zu folgen. Schließlich war Nit der Retter ihres Sohnes gewesen.

Von nun an lebte Nit bei dieser Familie, die ein großes Anwesen hatte. Sein Fell war mit der Zeit wieder glänzend geworden und durch die gute Pflege waren alle seine Verletzungen, die er sich während seiner Zeit in dem Wald zugezogen hatte, verheilt.

Eines Tages machte die Familie einen Ausflug zum Stadtpark. Plötzlich blieb Nit stehen und hob witternd seine Nase. Dann zog er heftig an seine Leine, sodass der kleine Junge ihn kaum halten konnte. Halb stolpernd, halb rennend folgte er Nit, der abrupt vor einer Bank stehen blieb, auf dem ein älteres Ehepaar saß. Nit sprang freudig um diese Leute herum, leckte sie und konnte sich nicht wieder beruhigen. Auch das Ehepaar strahlte und klatschte sich vor Freude in die Hände. Als die Eltern des Jungen die Bank erreichten, wollten sie sich für das Benehmen des Hundes entschuldigen, doch das Ehepaar erzählte ihnen, dass der Hund ihnen gehöre und sie ihn schon lange suchen würden. Bedauerlicherweise war Nit im Park geblieben, als die Frau einen Unfall hatte. Da der Mann durch den Unfall seiner Frau eine erneute Herzattacke bekommen hatte und so beide längere Zeit im Krankenhaus bleiben mussten, hatten sie den Hausmeister gebeten, den Hund zu suchen und sich um ihn zu kümmern. Doch nach der Aussage des Hausmeister konnte er Nit nicht finden. Darum waren sie jeden Tag in den Park gegangen und hatten sich immer wieder auf die Bank gesetzt, auf der sie gesessen hatten, wenn sie mit Nit im Park waren, in der Hoffnung, dass er eines Tages wieder auftauchen würde. Und nun war das Wunder geschehen.

Der Vater des Jungen fand es seltsam, dass Nit, der ein sehr schlauer Hund war, nicht zurückgefunden haben sollte. Allerdings sagte er nichts, sondern beschloss, den wahren Grund für das nicht wieder auftauchen des Hundes herauszufinden. Dies gelang ihm auch, nachdem er Zeugen gefunden hatte, die ihm seinen Verdacht bestätigten, dass der Hausmeister mit dem Hund gesehen worden war. Nachdem er den Hauswart mit seinem Wissen konfrontiert hatte, gab er zu, den Hund ausgesetzt zu haben. Der Vater zeigte ihn natürlich an und er musste eine Geldstrafe zahlen, sowie etliche Stunden im Tierheim arbeiten.

Damit der Junge, der inzwischen auch sehr an Nit hing, sich nicht von ihm trennen musste, bedurfte es eine Lösung. So schlug der Vaters des Jungen dem Ehepaar vor, in der leer stehenden Wohnung auf seinem großen Anwesen einzuziehen. Nach anfänglichem Zögern stimmte das Ehepaar zu und so lebten sie gemeinsam zufrieden bis ans Ende ihrer Tage.

Dezember 27

Leseprobe Kapitel III, Felix, der Erbe des Herschers

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Kapitel III

Etwas gerädert erwachte ich am nächsten Morgen. Die Sonne schien mir direkt ins Gesicht und hatte mich mit ihren hellen Sonnenstrahlen geweckt. Blinzelnd schaute ich auf die Uhr: Es war sieben Uhr! Höchste Zeit aufzustehen. Ich wollte heute zur Abwechslung pünktlich am Arbeitsplatz erscheinen.

Ich beeilte mich und schaffte es auch tatsächlich gegen acht Uhr mit meinem Fahrrad das Haus zu verlassen. Auf meinem Weg zur Arbeit stellte ich fest, dass viele Leute unterwegs waren.

Teils zu Fuß, teils mit dem Rad und einige sogar mit Elektroautos.

Allerdings konnte man diese Autos an einer Hand abzählen. Glücklich war der, der so ein Fahrzeug hatte.

Warum auch immer, aber diese Autos taten ihre Pflicht – im Gegensatz zu meinem Auto, das faul in der Garage stand und keinen Mucks von sich gab.

Einer spontanen Eingebung folgend wählte ich diesmal den Weg zur Arbeit durch die Innenstadt.

Auch wenn ich mich eigentlich beeilen sollte, konnte man nie wissen, ob ich nicht noch irgendetwas auf dem Weg zur Arbeit beobachten oder erleben konnte, was man als Bericht in die Zeitung bringen konnte.

Damit ich nicht unnötig viel Zeit verlor, trat ich kräftig in die Pedale und fuhr recht zügig. Mein Blick schweifte während der Fahrt hin und her, damit ich soviel wie möglich von der Umgebung wahrnahm.

Noch waren alle Geschäfte geschlossen, aber einige Schaufenster waren eingeschlagen. Glasscherben lagen auf dem Gehweg. Ich musste aufpassen, dass ich nicht dadurch fuhr und mir womöglich noch einen Plattfuß einhandelte.

Als ich an einer Bäckerei vorbei kam, lockte mich der leckere Duft frischer Backwaren vom Rad. Ich huschte schnell hinein und kaufte mir einige belegte Brötchen.

Beim Bezahlen stellte ich fest, dass ich dringend wieder zur Bank musste, um mir Bargeld zu holen.

Ich schaute auf die Uhr, ich lag gut in der Zeit und entschied, einfach zur nächsten Bank zu fahren, die nicht weit von der Bäckerei entfernt war.

Bis neun Uhr war ich auf jeden Fall an meinem Arbeitsplatz!

Als ich die Bank betrat, waren erst wenige Kunden zugegen. Ich steuerte den Bankautomaten an und zog mir den gewünschten Betrag. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, wie ein maskierter Mann mit einer Waffe in der Hand die Bank. Ich stöhnte innerlich. Das durfte doch nicht wahr sein!

Konnte denn kein einziger Tag ruhig und normal verlaufen?

Fast hatte ich den Eindruck, dass ich die Katastrophen anzog!

Kaum war ich irgendwo, tauchte ein Verbrecher auf.

Allerdings war ich doch neugierig wie er die Bank überfallen wollte angesichts der Gefahr beim Gebrauch der Schusswaffe, sich selbst schwer zu verletzen.

Interessiert drehte ich mich um und schaute ihn an. Er richtete die Waffe auf mich und deutete an, mich auf den Boden zu legen. Ich schüttelte mutig, wenn auch mit mulmigem Gefühl, den Kopf und deutete auf die Tür und signalisierte ihm, zu verschwinden.

Verunsichert schaute er mich an. Damit hatte er wohl nicht gerechnet. Leider machte er keine Anstalten, wieder zu gehen.

Demonstrativ verschränkte ich meine Arme und schaute ihn bitterböse an und dachte intensiv daran, dass er seine Waffe fallen lassen solle.

Zu meinem großen Erstaunen fing seine Hand in der er die Waffe hielt, an zu zitterten und er ließ sie tatsächlich fallen. Hastig bückte er sich und hob sie wieder auf. Das gab ihm doch den Rest. Fluchtartig rannte er aus der Bank. Erleichtert atmete ich aus. Ich sah mich um. Kaum zu glauben, aber von den anderen Kunden in der Bank hatte niemand diese Szene mitbekommen.

Gedankenverloren verließ ich die Bank, denn ich wunderte mich schon ein wenig darüber, dass meine Gedanken mitunter Realität wurden.

Sicherlich reiner Zufall“, dachte ich.

Ich schaute mich um, aber von dem gescheiterten Bankräuber war nichts mehr zusehen – von meinem Fahrrad allerdings auch nicht.

Ich hatte es nicht abgeschlossen, weil ich davon ausgegangen war, dass es in der Bank schnell ging.

Das war ein großer Fehler!

Wütend auf mich selbst machte ich mich zu Fuß auf den Weg zur Arbeit als ich sah, wie eine vollbesetzte Straßenbahn geräuschlos an mir vorbeifuhr. Ich erschrak. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich mitten auf die Straße gelaufen war.

Meine Augen hatten die Umgebung abgesucht, in der Hoffnung irgendwo mein Rad zu entdecken. Dabei hatte ich nicht auf den Weg geachtet, da ich einfach davon ausging, dass auf der Straße sowieso niemand fuhr.

Gedankenverloren schaute ich ihr hinterher.

Wieso fuhr die eigentlich?

Nachdenklich verließ ich die Straße und ging auf dem Bürgersteig weiter. Hatte die Straßenbahn etwas mit den Solarautos gemeinsam? Ich schaute auf die Gleisanlage. Dann sah ich die Oberleitung. Sie fuhr mit Strom!

Aber die Solarautos mit Sonnenenergie. So richtig konnte ich keinen Zusammenhang sehen.

In Gedanken vertieft ging ich weiter und bog in die nächste Straße ein. Abrupt blieb ich stehen.

Friedlich stand mein Fahrrad an einer Mauer gelehnt.

Allerdings gehörte diese Mauer zu einer Bank. Das durfte doch nicht wahr sein! Sollte der verhinderte Ganove etwa einfach die nächste Bank aufgesucht haben, um die dann zu überfallen?

Bevor ich die Bank betrat, schloss ich mein Rad ab.

Diesmal hatte der Bankräuber mehr Glück, denn als ich den Schalterraum betrat, lagen alle Kunden auf der Erde und eine Bankangestellte packte Geld in dem Beutel, den der Räuber ihr hinhielt.

Hektisch schaute er sich immer wieder um und bedrohte die verschreckten Menschen mit seiner Pistole.

Ich überlegte. Jetzt einzugreifen war viel zu gefährlich. Sollte es zu einer Kurzschlussreaktion kommen, würde Blut fließen. Auch wenn es nach meinen jetzigen Erkenntnissen das des Täters sein würde.

Fieberhaft überlegte ich eine Lösung. Gab es überhaupt eine? Er hatte mich noch nicht entdeckt, deswegen verließ ich schleunigst wieder die Bank.

Eine innere Stimme sagte mir:

Lass ihn laufen und misch dich nicht überall ein.“

Auf der anderen Seite mahnte mich mein Gewissen: „Wenn er damit durchkommt, wäre keine Bank mehr sicher! Du musst was tun!“

Während die innere Stimme mit meinem Gewissen stritt, trat der Bankräuber aus der Bank. Natürlich sah er mich sofort, denn schließlich stand ich an seinem Fluchtfahrtzeug, sprich meinem Fahrrad.

Zornig schaute er mich an und zielte mit der Pistole auf mich.

Mir trat der Angstschweiß auf die Stirn und ich hoffte, dass er nicht schießen würde. Auch wenn er mich wahrscheinlich nicht damit verletzen konnte, war es dennoch ein beängstigendes Gefühl, von einem bewaffneten Mann bedroht zu werden.

Während seine Hand, in der er die Pistole hielt zitterte, drückte er krampfhaft den Geldbeutel an sich. Nun bemerkte er, dass ich das Rad abgeschlossen hatte. Man sah es ihm förmlich an, wie sich seine Gedanken überschlugen. Dann drehte er sich um und rannte davon.

Was sollte ich jetzt tun?

Ihn verfolgen oder zur Arbeit fahren? Ich entschloss mich für den spannenderen Teil.

Die Verfolgung!

Ich schloss mein Rad auf und fuhr los.

Sofort tobte in meinem Kopf wieder ein Kampf zwischen meinem Mut und der Angst. Die Angst fluchte und beschwerte sich, dass ich mich immer in Dinge einmischte, die mir nichts angingen und obendrein mein Leben aufs Spiel setzte. Der Mut sah das natürlich ganz anders und verteidigte sich, dass doch überhaupt keine Gefahr bestünde und ich doch nur ein Verbrechen verhindern würde, was schließlich äußerst ehrenwert sei.

Ich blendete den Kleinkrieg aus und konzentrierte mich auf das, was als nächstes auf mich zukam, denn ich hatte den Räuber schnell eingeholt, was mit dem Fahrrad auch kein Kunststück war.

Ich blieb neben ihm und passte mich seiner Geschwindigkeit an. Noch gab er die Hoffnung nicht auf, mir doch noch zu entwischen, denn er lief weiter. Als er merkte, dass er mich nicht abschütteln konnte, hob er seine Pistole und feuerte.

Zum Glück ging der Schuss ins Leere, sodass er sich nicht verletzte.

Hartnäckig, wenn auch innerlich ziemlich erregt, blieb ich neben ihm.

Das brachte ihn irgendwann aus der Fassung.

Er gab noch mal einen Schuss ab.

Allerdings war seine Zielsicherheit sehr schlecht:

Rennen, Beutel festhalten und zielen war dann doch nicht so einfach. Darum schoss er sich in seinem Fuß. Wahrscheinlich hatte er auf meinen gezielt, aber so genau konnte ich das auch nicht sagen. Auf alle Fälle war es nun mit seiner Lauferei vorbei.

Entsetzt schaute er auf seinen Fuß. Aus seinem Schuh quoll Blut hervor.

Ich bremste mein Rad ab und deutete ihm an, endlich die Pistole fallen zu lassen. Er verstand mich nicht. Wieder hob er sie, um mich zu bedrohen.

Ich schüttelte den Kopf und sah ihn drohend an. Manche Leute lernen es nie! Doch dann senkte er sie wieder – zu meiner großen Erleichterung.

Ich wurde den Verdacht nicht los, dass ich bis jetzt auch ein wenig Glück gehabt hatte mit meinen Verbrechern. Offensichtlich waren es alle bislang Kleinkriminelle gewesen, die noch ein Gewissen hatten.

Jener jedenfalls gab auf und setzte sich schwer atmend und mit schmerzverzerrtem Gesicht auf die Erde. Den Beutel mit dem Geld hielt er aber immer noch fest umklammert.

Und jetzt?

Ich schaute mich um. Einige Leute waren stehen geblieben und hatten uns offensichtlich beobachtet. Doch als ich sie aufforderte, mir zu helfen, hatten sie es plötzlich alle sehr eilig, wegzukommen.

Umso überraschter war ich, als ich sah, wie drei Polizisten im Dauerlauf um die Ecke auf uns zukamen. Sie zückten ihre Waffen und richteten sie auf uns.

Auf uns!

Was sollte das denn jetzt?

Glaubten die denn, ich hätte die Bank überfallen. Fragend schaute ich sie an. Doch entschlossen deuteten sie mir an, die Hände hochzunehmen. Da ich nicht wollte, dass ihnen etwas passierte, befolgte ich ihren Anweisungen.

Ich glaubte es einfach nicht. Da verfolgte man einen Räuber und wird selbst verhaftet. Verrückt!

Abgesehen davon, dass ich schon wieder zu spät zur Arbeit kommen würde.

Es war ein kleiner Trost für mich, dass die Polizeistation direkt neben der Redaktion war, so war ich zumindest schnell da, wenn ich meine Aussage gemacht hatte.

Ich fand es nur ziemlich unverschämt, dass sie mir wie ein Verbrecher Handschellen angelegt hatten. Aber dann versetzte ich mich in ihre Lage und mir wurde klar, dass man durchaus glauben konnte, dass ich zu dem Langfinger gehören konnte.

Allerdings hatten die Polizisten, die zu Fuß angerannt gekommen waren das Problem, den verletzten Räuber zu transportieren. Laufen konnte er aufgrund seiner Schussverletzung am Fuß nicht mehr. Als Lösungsvorschlag deutete ich auf mein Rad als so eine Art Krankentransport, damit er nicht von den Polizisten getragen werden musste.

Die Idee kam auch gut an und so marschierten wir wie eine kleine Prozession zur Polizeistation. Ein Polizist fuhr auf meinem Rad, der Verletzte auf dem Gepäckträger, ich ging hinter dem Rad und hinter mir die anderen beiden Polizisten.

Ich dachte nur:

Seit ich nichts mehr hören kann, steht mein Leben völlig auf den Kopf. Überdies brauchte ich mich über mangelnde Abwechslung nicht beklagen.“

Wir kamen nur mühselig vorwärts, da der Dieb ziemliche Schmerzen hatte und wie verrückt auf dem Gepäckträger zappelte, sodass wir andauernd anhalten mussten. Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen wir endlich an.

Zwei Polizisten trugen den Gauner ins Revier. Der dritte eskortierte mich ins Büro des Chefs. Erstaunt sah er mich an. Ich grinste und zuckte mit den Schultern. Er bedeutete dem Polizisten, mir die Handschellen abzunehmen. Dann schilderte ich ihm, wie immer via PC, was passiert war.

Als ich meine Aussage gemacht hatte, schaute ich auf meine Uhr. Oh Gott, es war schon wieder Mittag. Mein Chef würde mich erwürgen!

Herr Wolfmann fragte mich ironisch, ob es nicht sinnvoller wäre, wenn ich meinen Arbeitsplatz ins Präsidium verlagern würde, da ich doch jeden Tag dort auftauchen würde.

Grimmig schaute ich ihn an.

Dann fiel mir noch etwas ein und ich fragte ihn, wieso die Polizisten immer noch ihre Waffen benutzten, obwohl das doch viel zu gefährlich für sie sei. Er schmunzelte und meinte, dass sei lediglich zur Abschreckung.

Die Waffen wären selbstverständlich nicht geladen! Man wolle schließlich keine Opfer unter den Polizisten. Ich war beeindruckt! Es hatte schließlich gewirkt!

Ernst fügte er dann noch hinzu, dass leider die Information der Selbstverletzung bei Gewaltausübung nicht bei den Menschen angekommen war.

Auch bei seinen Kollegen in den anderen Polizeirevieren stießen diese Information nicht auf die gewünschte Einsicht und somit nicht auf den Verzicht geladener Waffen.

Anderorts glaubte man eher an Sabotage. Ich schüttelte ungläubig den Kopf über soviel Dummheit. Ich fragte ihn, ob ich nun gehen könne, da ich mich doch mal in der Redaktion sehen lassen müsse.

Er nickte und ich verließ sein Büro. Auf dem Flur kam mir einer der Polizisten entgegen, die mich verhaftet hatten.

Erstaunt, dass ich so ohne weiteres aus dem Revier spazierte, schaute er mich kritisch an. Ich grüßte ihn nett und verschwand. Allerdings fühlte ich seinen bohrenden Blick in meinem Rücken.

Egal, denk was du willst“, dachte ich.

Draußen schnappte ich mir mein Rad und stellte dabei fest, dass es nicht abgeschlossen war. „Naja, so dreist wird keiner sein, direkt vor einer Polizeistation ein Fahrrad zu klauen“, dachte ich mir.

Ich marschierte direkt ins Büro meines Chefs und berichtete ihm mein morgendliches Erlebnis. Entgegen meiner Erwartung war er überhaupt nicht erbost über mein spätes Erscheinen.

Als ich mein Büro betrat, wurde mir auch klar, warum. Dennis saß einsam und verlassen an seinem Schreibtisch und war in seiner Arbeit vertieft.

Die anderen beiden fehlten.

Okay“, dachte ich, „ Peter war wahrscheinlich noch nicht fit genug. Aber was war mit Klaus?“

Ich fragte Dennis, ob er was wüsste. Er nickte und schrieb mir, dass die Frau von Klaus Panikattacken hatte und nicht alleine bleiben wollte. Darum war er wohl oder übel zuhause geblieben.

Ich fuhr meinen Rechner hoch und schaute entgeistert auf mein Postfach. Es quoll förmlich über vor Mails. Da Dennis Peters Mails bearbeitete, musste ich mich um die von Klaus kümmern.

Auch dort war eine Unmenge von Mails angekommen, die bearbeitet werden mussten.

Doch irgendwie konnte ich mich nicht richtig auf die Arbeit konzentrieren. Vielmehr ging mir der Gedanke nicht aus dem Kopf, wieso einige Dinge funktionierten, andere wiederum nicht.

Ich musste diesem Phänomen unbedingt auf den Grund gehen.

Vielleicht halfen mir die Mails bei der Lösung.

Allerdings war das nicht so einfach, weil alle nur über das herrschende Chaos berichteten. Es breitete sich immer mehr aus. Einige schrieben, dass es immer schwieriger wurde, Mails zu versenden. Ständig brach das Stromnetz zusammen. Aber das war nicht das einzige Problem.

Durch Hamsterkäufe war es in etlichen Teilen der Welt zu Lebensmittelengpässen gekommen. Es fehlte der Nachschub. Dieser musste mühselig mit Pferdewagen vom Land in die Städte gebracht werden.

Das Exportieren von verderblichen Lebensmitteln war überhaupt nicht mehr möglich, da keine Flugzeuge flogen.

Auch der Seeweg war nur noch begrenzt nutzbar, da keine anderen Schiffe außer Segelschiffe fahrbereit waren. Die Motoren sprangen einfach nicht an. So konnten viele Produkte nicht mehr exportiert werden.

Abgesehen von den logistischen Problemen schien die Gewalt immer mehr zuzunehmen. Einige Korrespondenten schrieben, dass sie um ihre Sicherheit fürchteten und Land verlassen wollten.

Da sich jene in Krisengebiete befanden, war das durchaus nachvollziehbar. Ohne Hörvermögen mit Blick auf ein sich anbahnendes Desaster war das sicherlich vernünftig.

Ich hielt inne.

War das Stummschalten der Welt erst der Anfang einer sich anbahnenden Katastrophe?

In jeder Mail nur Hiobsbotschaften!

Man hatte den Eindruck, dass die Welt aus den Fugen geriet.

Ich schaute auf mein immer noch gefülltes Postfach. Ich brauchte die Mails nicht weiter zu lesen.

Ich überlegte und schüttelte den Kopf. Sollte man wirklich diese ganzen Horrormeldungen in der Zeitung abdrucken? Konnte man den Menschen in ihrer ohnehin schwierigen Lage all diese schlechten Nachrichten noch zumuten.

Gab es denn nichts positives, was man schreiben konnte?

Nein! Ich hatte nichts gelesen!

Auch in unserer Stadt bemerkte man eine beginnende Unordnung und Gesetzlosigkeit. Die Warnungen, die wir in unserer Zeitung veröffentlicht hatten, wurden entweder nicht gelesen oder nicht ernst genommen.

Vielerorts war selbst die Polizei nicht davon abzubringen, ihre Waffen geladen mit sich herumzuführen.

Aus den vielen Mails war herauszulesen, dass die Menschen an eine von Menschenhand herbeigeführte Sabotage glaubten.

Ein Großangriff auf die Macht?

Es fiel mir schwer, das zu glauben!

Dafür war das Ausmaß zu gigantisch!

Wer soviel Macht besaß, die ganze Welt ins Chaos zu stürzen, hatte sie auch in der Hand, das war klar!

Ich hoffte innig, dass es eine andere Erklärung für all das geben würde.

Vielleicht doch ein Virus!

Man wusste, dass die Wissenschaftler ständig mit irgendwelchen Viren experimentieren.

In Zeiten der Globalisierung konnte sich ein gefährlicher Virus sehr schnell ausbreiten.

Aber so schnell?

Für mich ergab das alles keinen Sinn.

Ich hatte das Gefühl, dass ich mich gedanklich im Kreis drehte.

Ich rieb mir meine brennenden Augen. Die Bildschirmarbeit strengte an.

Ich schaute zu Dennis. Er war aufgestanden und machte sich einen Kaffee. Das war eine gute Idee. Ich stand ebenfalls auf und gab ihm ein Zeichen etwas mehr Kaffee aufzusetzen.

Dann zog ich meine Zaubertafel hervor und fragte ihn, ob er schon wüsste, warum das allgemeine Stromnetz so instabil geworden war.

Bei uns und in den Nachbarstädten war es gestern zu teilweise massiven Stromausfällen gekommen. Um uns darüber zu informieren, war gestern Abend extra ein befreundeter Kollege meines Chefs mit dem Rad zu uns gefahren.

Ich vermutete aber, dass das nicht der einzige Grund war. Sicherlich wollte er auch Neues von uns erfahren. Meinungsaustausch auf ganz althergebrachte Weise. Ohne die Vorzüge der modernen Kommunikation.

Aber Dennis konnte sich auch keinen Reim daraus machen, wieso es immer wieder zu massiven Stromausfällen kam.

Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Bietersbrück das große Glück hatte, schon seit vielen Jahrzehnten sehr vorausschauende und umweltbewusste Bürgermeister zu haben, die schon vor etlichen Jahren verstärkt auf erneuerbare Energie gesetzt und sehr großen Wert darauf gelegt hatten, dass der Naturschutz in der Stadt groß geschrieben wurde, blieben wir auch nicht vor Stromausfall verschont.

Und dass, obwohl fast jedes Haus eine Photovoltaikanlage besaß und außerhalb der Stadt sehr viele Windräder waren.

Die dadurch gewonnene Energie floss dann in den Energiebedarf der Stadt.

Irgendetwas schien die Stromzufuhr zur Stadt zu unterbrechen. Die Frage war nur was!

Oder vielleicht wer?

Ich schüttelte den Kopf. Es war sehr rätselhaft. Ich hoffte jedoch inständig, dass es bald für all dies eine plausible Erklärung gab.

Ein Blick durch das Fenster nach draußen sagte mir, dass es schon spät war, denn es fing an zu dämmern.

Ich trank meinen Kaffee aus und setzte mich wieder vor dem PC und arbeitete noch einige Artikel aus, die ich dann an meinem Chef weiterleitete.

Ich wollte schon den PC herunterfahren, als mir der Gedanke kam, meinen Eltern eine Mail zu schicken, um mich nach deren Befinden zu erkundigen.

Beide waren eigentlich Wissenschaftler. Mein Vater war Astrophysiker und meine Mutter Chemikerin. Da ihre Jobs sehr stressig waren, hatten sie vor einigen Jahren beschlossen, alles hinzuschmeißen und auszuwandern. Sie kaufen sich in Pennsylvania eine große Farm und begannen mit Ackerbau und Viehzucht. Sie waren damit so erfolgreich, dass sie fast alle benötigten Lebensmittel selbst erzeugten und den großen Rest gewinnbringend weiterverkaufen konnten.

Es ist ihnen sogar gelungen, guten Kontakt zu einem Dorf in dem Amishpeople lebten, zu knüpfen. Von der Ideologie her harmonierten meine Eltern sehr mit deren Ansichten. Zumindest was die Friedfertigkeit und ein harmonisches Miteinander anbelangt. Allerdings lehnten meine Eltern keineswegs die modernen Errungenschaften ab.

Sie hatten für sich einen guten Mittelweg gefunden. Ein beschauliches Farmerleben, fernab jeglicher Hektik.

Auch wenn die Arbeit auf der Farm durchaus anspruchsvoll und hart war, unterschied sie sich doch erheblich vom allgemeinen Stress in der Wirtschaft und dem lauten, unruhigen Leben in der Stadt. Ganz zu schweigen von der mitunter erheblich belasteten Luft in der Stadt.

Alles in allem hatten die Beiden es nie bereut, ausgewandert zu sein. Sie waren nur sehr traurig darüber gewesen, dass ich nicht mit ihnen auswandern wollte.

Für mich war die Vorstellung, mein Leben in einer einsamen, weitläufigen Gegend zu verbringen, etwas horrormäßig.

Ich loggte mich in meinem PC ein und rief das Email Programm auf.

Da sich in den letzten Tagen die Ereignisse so überschlagen hatten, war ich nicht dazu gekommen, meine Mails abzufragen. Natürlich waren auch hier viele angekommen. Trotz Spamfilter waren darunter wieder viele Mails für den Papierkorb. Ich überflog rasch die Mails und stellte dabei fest, dass meine Eltern mir schon zuvorgekommen waren.

Ich öffnete ihre Mail und las sie.

Wie üblich fragten sie nach meinem Wohlbefinden. Besorgt wollten sie wissen, ob sich der merkwürdige Virus auch schon in unserer Stadt ausgebreitet hätte.

Ein Saisonarbeiter namens Henry Flint, hatte ihnen von einem Virus berichtet, der das Gehör außer Gefecht setzte. Auch sein Gehör war davon betroffen.

Er war wie viele andere Amerikaner nicht krankenversichert. Da er wusste, dass ein befreundeter Arzt die Arbeiter meiner Eltern behandelte, wenn ihnen etwas fehlte, hatte er sich zu ihnen auf dem Weg gemacht.

Allerdings konnte der Arzt nichts Ungewöhnliches an den Ohren feststellen.

Weiter schrieben sie, dass es ihnen gut gehe und dass sie alle aufgetauchten Probleme bislang größtenteils lösen konnten. Außerdem baten sie mich, doch zu ihnen zu kommen, damit ich nicht versehentlich in eine gefährliche Lage geriet, da doch im Moment in vielen Ländern und Städten eine Ausnahmesituation herrschte, die durchaus als bedrohlich einzuschätzen war.

Ich dachte an meine Erlebnisse der vergangenen Tage und schmunzelte.

Ihre Sorge war nicht ganz unberechtigt. Aber ich war bislang glimpflich davon gekommen.

Ich grinste in mich hinein und dachte:

Eltern sein bedeutet eindeutig, dass man sich immer Sorgen um den Nachwuchs macht – unabhängig vom Alter.“

Es wunderte mich nur, warum meine Eltern kaum Probleme hatten. Lag es daran, dass sie weit draußen auf einer Farm lebten?

Wie dem auch sei, ich war froh, dass es ihnen gut ging.

Natürlich hatte ich nicht vor, dort hinzureisen. Was sich aufgrund des ständigen Stromausfalles sowieso als unmöglich erweisen würde.

Dann berichteten sie mir von diversen technischen Problemen mit ihren Geräten und Fahrzeugen. Allerdings waren sie auch hier sehr optimistisch, alles schnell wieder im Griff zu bekommen.

Ich seufzte. Es schien so, als wären alle Vorfälle global zu sehen. Ich schüttelte meinen Kopf. Schon seltsam, man könnte fast glauben, dass da einer am Knopf dreht und die Welt steht Kopf! Aber das war ja wohl eher unwahrscheinlich, oder?

Ich schaute auf die Uhr. Schon wieder war es sehr spät und ich merkte, wie die Müdigkeit eine feindliche Übernahme meines Körpers vorbereitete. Ich fuhr den PC herunter, schnappte mir meine Jacke und verließ mein Büro, hob noch grüßend die Hand als ich am Büro meines Chefs vorbeikam, der immer noch fleißig arbeitete. Er nickte mir müde zu. Auch bei ihm hinterließen die vielen Überstunden so langsam aber sicher ihre Spuren.

Ich trat in die klare Abendluft und atmete tief ein, dann schloss ich mein Rad auf und radelte geradewegs nach Hause.

Während die Müdigkeit einen Kampf mit meinem Magen ausfocht, wobei der Magen eindeutig als Sieger hervorging, machte ich mir mein Abendbrot. Ich schaltete meinen Fernseher an, der es allerdings vorzog, in Ruhestellung zu bleiben. Ich zuckte mit den Schultern. Na, dann eben nicht! Radio hören, war ja im Moment auch nicht so ergiebig, mangels fehlendem Hörvermögen. So blätterte ich während des Essens die Zeitung durch und legte mich danach ins Bett.

Mein Kopf pochte. Ich schlug die Augen auf und massierte mir mit den Fingern die Stirn. Entsetzliche Kopfschmerzen hatten mich aus dem Schlaf gerissen. Vorsichtig richtete ich mich im Bett auf. Ich hatte das Gefühl, das mein Kopf jeden Moment platzen würde. Ich schaltete meine Nachttischlampe ein, um aufzustehen und mir eine Aspirin zu holen. Allerdings blieb die Lampe dunkel. So tastete ich mich vorsichtig durch mein Schlafzimmer zur Tür. Routinemäßig versuchte ich die Deckenbeleuchtung anzuknipsen. Logischerweise zog auch sie es vor, dunkel zu bleiben. So blieb mir nichts anderes übrig, als die Jalousien hochzuziehen und das Licht des Mondes hereinzulassen, damit wenigstens etwas Licht in dem Raum drang. In der Küche hatte ich eine Kramschublade, in der sich auch eine Taschenlampe befand. Diese fischte ich heraus und schaltete sie ein. Ich seufzte innerlich. Wenigstens ließ sie mich nicht im Stich. Mit ihrer Hilfe suchte ich aus meiner kleinen Apotheke eine Kopfschmerztablette heraus. Ein Glas Wasser sorgte dafür, dass die Tablette zügig in den Magen rutschen konnte. Ich überlegte, ob ich mich wieder hinlegen oder vielleicht einen kleinen Sparziergang an der frischen Lust machen sollte. Da ich inzwischen hellwach war, entschied ich mich für den Sparziergang. Ich zog mir meinen Trainingsanzug an, schnappte mir meinen Wohnungsschlüssel und ging auf die verlassene Straße hinaus. Mein Kopf fühlte sich an, als würden tausend Nägel auf einmal hineingeschlagen. Ich atmete tief durch. Obwohl es sternenklar war und der Mond am Himmel strahlte, als wäre er die Sonne persönlich, hatte ich das Gefühl, dass die Luft ungewöhnlich feucht war. Ich schaute zum Himmel empor, – wobei mein Kopf sich dabei gerade von meinem Hals verabschieden wollte – und spürte, wie mein Gesicht feucht wurde, obwohl ich keine Wolken am Himmel entdecken konnte.

Komisch!

Naja, vielleicht war es die Kühle der Nacht, die für die Nässe verantwortlich war. Vorsichtig senkte ich meinen Kopf, als ich mit dem Augenwinkel einen Schatten am Himmel bemerkte. „Nanu“, dachte ich. „Gibt es doch noch Flugzeuge, die fliegen können?“

Angestrengt blickte ich nach oben. Aber ich sah nur einen großen Schatten, der sich in großer Höhe langsam fortbewegte. Mein Kopf schmerzte dermaßen, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Ich schlich durch die Nacht, in der Hoffnung, dass die feuchte Luft meine Schmerzen lindern würde. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es schlimmer wurde. Darum beschloss ich, wieder in meine Wohnung zurückzukehren. Auf dem Rückweg erfasste mich eine unerklärliche Schwermut und Hoffnungslosigkeit. Eigentlich völlig untypisch für mich. Normalerweise – so schätzte ich mich zumindest ein – war ich im Grunde eine Frohnatur, realitätsnah und mit beiden Beinen fest im Leben.

Gut, mein Liebesleben hatte im Moment eine kleine Pause, aber das machte mir nicht viel aus. Dabei dachte ich an Anja und hoffte, dass die Pause bald zu Ende sein würde. Eigentlich sah ich in allen Dingen eher das Positive.

Trotzdem ergriff mich plötzlich eine Resignation und Niedergeschlagenheit. Ich wünschte mir, dass alles vorbei wäre. Ich dachte an den Tod. Die wahnsinnigen Kopfschmerzen wären vorbei die Taubheit der Ohren spielte dann auch keine Rolle mehr. Alles wäre leicht und unbeschwert und ich brauchte mir über nichts mehr den Kopf zu zerbrechen.

Vor meinem Auge tauchten Bilder von verstorbenen Menschen auf, die ich gekannt hatte und mir nun zuwinkten, als würden sie sagen:

Komm doch endlich zu uns!“

Ich strich mir durch das Gesicht und atmete tief ein. Jetzt begann ich auch noch, herum zu spinnen. Ich beschleunigte meine Schritte, wobei mir das Atmen schwer fiel. Irgendwie signalisierte mir meine Nase, dass etwas an mir unangenehm roch. Ich schnupperte an meinen Händen und verzog das Gesicht.

Puh, was war das denn? Meine Nase protestierte lautstark und nieste kräftig vor sich hin. Mein Hals machte sich durch ein Kratzen bemerkbar. Auch mein Magen meinte, seinen Senf dazu beitragen zu müssen. Es war vielleicht doch keine gute Idee gewesen, nach draußen zu gehen. Irgendwie war die Luft komisch. Während ich zurückging, fühlte sich mein Kopf bei jedem Schritt an, als würde eine ganze Arbeiterkolonne mit Presslufthämmern meine Nerven ohne Betäubung bearbeiteten.

Ich war froh, als ich meine Wohnung wieder erreichte hatte. Da ich ständig niesen musste, beschloss ich – trotz meiner Übelkeit und extremer Lustlosigkeit – zu duschen, da ich das unbestimmte Gefühl hatte, dass mir das helfen würde. Allerdings war das nicht ganz so einfach, im Dunkeln zu hantieren. Ich versuchte meine Taschenlampe so hinzustellen, dass ich wenigstens etwas sehen konnte. Als das warme Wasser auf mich herabrieselte, fühlte ich mich zunehmend besser. Ja, sogar die Kopfschmerzen ließen nach. Irgendetwas schien in der Luft zu sein, was all meine Beschwerden verursachte. Als ich die Dusche verließ, schloss ich als erstes sämtliche Fenster und suchte mir einen Mundschutz aus meinem Fundus.

Seit der Schweinegrippe vor zwei Jahren hatte ich mich mit solchen Dingen eingedeckt.

Ich dachte an die Flugreise, die ich damals gemacht hatte. Die Hälfte der Passagiere im Flugzeug hustete und ich hatte große Befürchtungen, mich anzustecken. Als ich wieder zuhause war, kaufte ich mir einige Mundschutze, um vorbereitet zu sein.

Ich kam mir zwar etwas blöd vor, in meiner Wohnung so etwas zu tragen, aber wie sagt man so schön:

Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste.“ Außerdem sah mich niemand. Tatsächlich besserte sich mein Wohlbefinden nach und nach. Allerdings breitete sich eine große Erschöpfung in mir aus. Nachdem ich mit letzter Kraft meine Sachen, die ich zuvor getragen hatte, mit zwei Finger in den Wäschekorb geworfen hatte, um sie am nächsten Tag in die Waschmaschine zu packen, legte ich mich in mein Bett und schlief augenblicklich ein.

März 10

Flüchtlinge

Flüchtlinge

Politiker diskutieren

Flüchtlinge frieren

Grenzen lang

Flüchtlinge krank

Stacheldraht

Verzweiflung naht

Wir wollen keinen!

Kinder weinen

Große Not

Sich schützen erstes Gebot!

Wasserleichen

Werden nicht reichen

Umzudenken

Einzulenken

Es zählt nur Macht und Geld!

In dieser unbarmherzigen, harten Welt!

Anne Düpjohann 10.3.2016

März 8

Bepops Abenteuer

Bepops Abenteuer

Die Welt ist für alle da – sollte man meinen. Doch schaut man sich um, stellt man fest. Hauptsächlich breitet sich der Mensch aus. Die Tiere und Pflanzen sind für den Menschen nur Mittel zum Zweck. Darum tauchen wir jetzt in die für den Menschen unbekannte Welt der “ Anderen “ ein. So sehen wir vielleicht irgendwann unsere Umgebung mit anderen Augen.
Bepop kratzte sich am Hals. Dieses lästige Ding, was seine Kehle zuschnürte, war einfach nicht mit seinen hilflosen Pfoten zu entfernen.
Verzweifelt sah er zu seinem Menschen auf, um ihm zu signalisieren:
„Mach mir endlich das Ding ab!“
Doch wie er es schon geahnt hatte, reagierte der Mensch völlig verkehrt. Er lächelte ihn nur an und streichelte ihn.
„Blöder Mensch, du verstehst auch gar nichts!“
Missmutig trottelte er durch die offen stehende Tür nach draußen. Er reckte seine Nase in die Höhe und schnupperte:
„Oje, es gibt gleich Regen“, dachte er und rannte so schnell ihn seine kurzen Dackelbeine tragen konnten zu seinem Lieblingsbaum, um sein Revier neu zu markieren. Als er sein Beinchen hob, ächzte der Baum und säuselte:
„Nicht du schon wieder! Du verätzt mir ja komplett meine Wurzeln mit deinem ewigen Gepinkel!“
„Ach stell dich doch nicht so an, ich rieche genau, dass hier jemand anderes vor mir war“. „Das mag ja sein, meinen Wurzeln ist das aber egal. Es brennt so oder so. Also such dir gefälligst eine andere Stelle aus.!“
Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, ließ er ein paar Früchte von seinen Ästen fallen, die Bepop nur mit einem mutigen Satz entkam. Mit Apfelluna war heute nicht gut Kirschen essen. So machte er sich auf dem Weg zu seinem nächsten Baum. Er kroch unter dem Zaum des Gartens hindurch und rannte über das angrenzende Feld. Es war Herbst und das Feld war von den Bauern abgeerntet, so dass nur noch die Stoppeln zu sehen waren. Bepop hüpfte von einer Furche zur nächsten und scheuchte so einen Hasen auf, der sich friedlich mümmelnd in eine Furche zum Ausruhen gelegt hatte. Erschrocken sprang dieser auf und wollte fliehen, doch da erblickte er Bopop und verharrte abwartend bis sich er näherte.
„Na du Halsbandheini, wieder auf Schlür?“
Bepop knurrte;
„Reiz mich nicht, sonst beiß ich dir in deine Schlappohren!! Wenn ich könnte, hätte ich das Ding schon längst abgemacht, aber es geht einfach nicht und mein Mensch ist einfach zu dumm, um zu verstehen, was ich will und was nicht!“
Mitleidig schaute Blumenschwanz ihn an:
„Das ist der Preis der Gefangenschaft. Jeder macht mit dir, was er will.“
„Na ja, mein Mensch ist ja ganz in Ordnung, bis auf die üblichen Macken, die wohl jeder Mensch hat. So wie meine Freunde sagen, glauben die ja alle, sie tun uns nur Gutes. Aber na, ich kann ja nicht klagen, ich kann ja laufen wie ich will. Berno, der große Jagdhund, er dich gerne jagt, muss den ganzen Tag im Haus bleiben. Wenn der mit seinem Mensch spazieren geht, hat er gleich Muskelkater, weil ihm die Bewegung fehlt.“
„Na toll“, erwiderte Blumenschwanz, „wenn der große Kerl Auslauf bekommt und mich jagt, hängt mir regelmäßig die Zunge aus dem Hals. Von mir aus kann der ewig im Haus bleiben. Der glaubt doch, ich hätte weiter nichts zu tun, als mit ihm um die Wette zu laufen“, jammerte Blumenschwanz.
“ Nimm es nicht so schwer, er meint es ja nicht böse“, tröstete ihn Bepop.
„Das glaubst auch nur du! Jeden Herbst machen seine Brüder Jagd auf mich, und das ist durchaus lebensgefährlich für mich. Letztes Jahr wurde mein Bruder von ihnen getötet, hast du das vergessen?“
„Nein, aber Berno ist doch viel zu blöd dazu. Erinnerst du dich nicht daran, als er dich das letzte Mal unfreiwillig aufgescheucht hat? Da ist er doch selbst vor lauter Schreck in Ohnmacht gefallen! Sein Mensch musste ihn doch anschließend nach Hause tragen, weil er sich nicht mehr bewegen wollte.“
Blumenschwanz lächelte:
„Ja, das stimmt, aber trotzdem, manche Hunde werden von den Menschen so gegen uns aufgehetzt, dass unser Leben ständig durch sie in Gefahr ist.“
„Ja, da hast du wohl recht“, stimmte Bepop ihm zu. Auf einmal spürte Bepop ein Beben unter seinem Körper und machte vor Schreck einen Satz zur Seite. Erstaunt sah ihn Blumenschwanz an:
„Was hast du denn?“, fragte er.
„Ich glaube es gibt ein Erdbeben, die Erde unter mir bewegt sich“, erwiderte Bepop.
Ein großer Erdwall türmte sich vor ihnen auf und die beiden wichen erschrocken zurück. Plötzlich erschien eine braune Nase schnüffelnd an der Oberfläche und sprach die beiden an.
„Na, was schaut ihr denn so verschreckt drein?“
Erleichtert erwiderte Bepop:
„Ach du bist es, Grabekriecher, ich dachte schon, es gäbe ein Erdbeben.“
„Danke, danke für das Kompliment, aber so stark bin ich doch noch nicht, aber ich habe schon das halbe Feld aufgelockert“, lächelte Grabekriecher stolz.
„Hey sag mal, warst du die letzten Tage bei unserem Nachbar im Garten?“ fragte Bepop.
„Oh ja, “ erwiderte Grabekriecher zornig,
„Mit dem bin ich fertig, da lockert man ihm die Erde auf, und was macht er?! Er verqualmt mir die Gänge, so dass ich fast eine Rauchvergiftung bekommen hätte! Mit letzter Kraft konnte ich mich noch aus der Gefahrenzone entfernen! Ich muss immer noch ab und zu husten!“
Und – um seine Aussage zu bekräftigen, hustete Grabekriecher ausgiebig.
„Okay, wir glauben es dir!“, erwiderte Bepop und machte einen Schritt zur Seite, da Grabekriecher gänzlich aus seinem Loch krabbelte. Grabekriecher schnüffelte in die Luft und sagte bedauernd:
„Ich glaube unser Pläuschen wird kurz, es riecht gewaltig nach Regen!“
Nun schaute auch Bepop zum Himmel hinauf und platsch traf ihn ein dicker Regentropfen direkt auf die Nase. Blumenschwanz schreckte auf, als auch ihn die ersten Regentropfen trafen und sagte schon im Wegrennen:
„Ich flitze zum Wald, dort habe ich meinen Bau, in dem es trocken ist!“
Grabekriecher flüchtete fluchend zurück in seinem Gang und murmelte nur noch;
„Hoffentlich stürzen mir meine frisch gebuddelten Gänge nicht wieder ein.“
Verdutzt schaute Bepop hinter beiden drein und setzte sich dann auch in Bewegung. Allerdings war er noch unentschlossen, in welcher Richtung er nun laufen sollte. Wieder nach Hause oder doch besser zum Wald, der näher war. Der Regen nahm ihm seine Entscheidung ab, denn es schüttete jetzt wie aus Eimern. Also hüpfte er so schnell ihn seine kurzen Dackelbeine tragen konnten über die Furchen des Feldes zum nahe gelegenen Wald. Natürlich war er völlig durchnässt, als er die Bäume erreichte, die mit ihren dichten Blättern den Regen kaum eine Chance ließen, den Waldboden zu erreichen. Er schüttelte sich kräftig, sodass das Wasser zum größten Teil wieder aus seinem dichten Fell herausgeschleudert wurde. Allerdings stellte er fest, dass sein Bauch voller Erde vom Acker war. Er war so richtig schön dreckig. Wäre er nach Hause gerannt, hätte sein Mensch garantiert einen Anfall bekommen. Dieser konnte es überhaupt nicht leiden, wenn er so verschmutzt war. Sicherlich hätte der Mensch ihn sofort in die Badewanne gesteckt. Bei dem Gedanken schüttelte sich Bepop nochmals. Er hasste das Baden. Er mochte es gar nicht, wenn er bis auf die Haut nass wurde. Außerdem benutzte sein Mensch so ein komisch riechendes Mittel, was tagelang an seinem Fell haftete. Sein Mensch sagte dann immer zu ihm, er röche gut. Aber Bepops Freunde lachten ihn aus, wenn er mit dem Geruch um die Ecke kam. Oft blieb er darum so lange im Haus und ging nur kurz nach draußen um seine Notdurft zu verrichten, bis der Geruch verflogen war und er seinen ureigenen Geruch wieder hatte. Warum dachten die Menschen immer, dass die Tiere auch so riechen sollten wie sie? Für Bepop stanken die Menschen alle erbärmlich. Na ja, an dem Geruch seines Menschens hatte er sich inzwischen gewöhnt. Aber den Geruch des Nachbarn fand er unerträglich. Dauernd qualmte er aus dem Mund und krächzte unangenehm dabei, sodass sich Bepops Nackenhaare jedes Mal sträubten und er fluchtartig das Weite suchte. Ein lauter Donner, begleitet mit einem Blitz ließen Bepop erschrecken. Er krabbelte unter einem Busch und zitterte vor Angst. Er hörte, wie ein Baum in seiner Nähe ächzte und ein Ast krachend zu Boden fiel. Er hasste diese unheimlichen Geräusche, die aus dem Himmel kamen und für ihn völlig unerklärlich waren. Er machte sich so klein wie möglich und hoffte, dass es schnell wieder vorübergehen würde. Doch der ohrenbetäubende Lärm hörte nicht auf, im Gegenteil, es krachte und donnerte, als würde der Untergang der Welt eingeläutet. Die Tiere im Wald waren verstummt. Kein Vogel zwitscherte mehr. Bepop vernahm nur das laute Klatschen der dicken Regentropfen auf den Blättern der Bäume. Inzwischen hatte der starke Regen es geschafft, durch den dichte Blätterwald bis auf den Waldboden vorzudringen. Ein dicker Tropfen platschte wieder direkt auf Bepops Nase. Unwillkürlich musste er niesen. Er kroch rückwärts weiter ins Gebüsch. Dabei merkte er, dass sich hinter ihm eine kleine Höhle befand, die in die Erde ging. So schob er sich vorsichtig hinein, um Schutz vor den Regen zu finden. Als nur noch seine Schnauze herausschaute, war er zufrieden und schloss erschöpft die Augen. Irgendetwas riss und biss ihn im Schwanz. Bepop wachte davon auf und knurrte böse. Er brauchte einen Moment bis er wusste, wo er sich befand. Er lag nicht in seinem weichen, kuscheligen Körbchen, sondern steckte in einem kleinem Sandloch. Mühsam versuchte er, sich darauf zu befreien, was gar nicht so einfach war. Während er sich herausquälte, zwickte ständig irgendetwas an seinem Schwanz. Er jaulte verzweifelt. Der weiche Waldboden machte es ihm nicht leicht, herauszukrabbeln, denn die nasse, aufgeweichte Erde gab immer wieder nach. Als er es endlich geschafft hatte, seinen Körper vollends aus dem Loch zu befreien, war er völlig außer Atem. Er drehte sich um, um festzustellen, wer so unverschämt an seinem Schwanz gebissen hatte. Zu seiner Überraschung erschien der Kopf von Blumenschwanz.
„Hey! Was beißt du mich in den Schwanz!“, empörte er sich.
„Wieso verstopft du mit deinem dicken Hintern unseren Ausgang?“, erwiderte Blumenschwanz erbost und hoppelte aus der Höhle, dabei schüttelte er sich den Sand aus dem Fell.
„Sieh dir mal an, was du angerichtet hast! Der ganze Eingang ist aufgewühlt und kaputt!“
„Na hör mal! Woher sollte ich denn wissen, dass ihr darin wohnt! Ich habe doch nur Schutz vor dem Regen gesucht!“, verteidigte sich Bepop, dabei schaute er sich den aufgewühlten Sandhaufen an, der sich am Zugang zum Bau türmte. Nun bekam er doch ein schlechtes Gewissen und bot an, ihm beim Ausbessern zu helfen. Doch Blumenschwanz schüttelte mit dem Kopf:
„Nein, ich denke, wir müssen umziehen, denn das Loch ist nun so groß, dass unsere Feinde hinein können. Ich werde gleich mal losziehen, um einen geeigneten Ort zu finden.“
„Das wollte ich wirklich nicht!“, entschuldigte sich Bepop.
„Tja, man kann auch ungewollt etwas anrichten. Aber ich verzeihe dir.“ Bopop bellte erleichtert. Das Gewitter hatte aufgehört. Der starke Regen hatte sich in einem leichten Nieseln verwandelt. In der Nähe begann ein Vogel auf einem Baum aus vollem Hals zu singen:
„Ich bin der größte, ich bin der schönste, ich bin der beste hier im ganzen Wald!“ Bepop blickte nach oben, um den Schreihals zu entdecken. Es dauerte einige Zeit, bis er den kleinen Piepmatz auf einem Ast entdeckte. Er bellte:
„Hör auf mit dem Geschrei. Uns kannst du nicht damit beeindrucken!“
„Ich bin der größte, ich bin der schönste, ich bin der beste hier im ganzen Wald!“, wiederholte er ohne Unterbrechung. Nun begannen auch die anderen Vögel aus vollem Halse zu singen. Bepop schüttelte knurrend seinen Kopf, denn die Vögel sangen alle denselben, maßlos übertriebenen Text.
Plötzlich hob Blumenschwanz schnüffelnd seine Nase in die Höhe und flitzte so schnell ihn seine Beine tragen konnten, wieder in seinem Bau. Verblüfft schaute Bepop ihm nach.
„Was war denn in dem gefahren?“, fragte er sich verwundert. Die Antwort erhielt er ziemlich schnell, denn ehe er sich versah stand mit bleckenden Zähnen der ungehobelte Rotfuchs Reineke vor ihm. Erschrocken wich er zurück und rutschte mit seinen Hinterpfoten in dem Loch, in dem Blumenschwanz verschwunden war. Mutig kläffte er ihn an, während er sich aus seiner misslichen Lage befreite. Erneut wühlte er dadurch die Erde auf, aber verkleinerte gleichzeitig die Öffnung. Er schüttelte sich den klebrigen Sand aus dem Fell, wobei einige Klumpen der nassen Lehmmasse Reineke direkt ins Gesicht flogen. Er wich wütend zurück:
„Was soll das? Willst du dich mit mir anlegen?“
„Nein, nein!“, erwiderte Bepop erschrocken, “ das Schütteln war nur ein Reflex. Ich muss jetzt auch gehen!“
Mit diesen Worten machte er sich so schnell er konnte mit seinen kurzen Dackelbeinen aus dem Staub, dabei spitzte er seine Ohren, um festzustellen, ob der Fuchs ihm folgte. Zu seiner Erleichterung hörte er aber nichts dergleichen. Er gelangte wieder auf das Stoppelfeld und verlangsamte seinen Lauf. Ängstlich sah er zum Wald zurück. Da! Es knackte im Gehölz! Er duckte sich, in der Hoffnung, dass er nicht gesehen werden würde, denn er wusste, in einem Wettlauf mit Reineke hatte er keine Chance. Er erinnerte sich noch schmerzlich an die letzte Begegnung. Sie endete sehr unrühmlich mit einem tiefen Biss in seinem Nacken. Doch zu seiner Beruhigung trat Bambinchen aus dem Wald hervor und schaute versonnen in den Abendhimmel. Bepop atmete erleichtert auf.
„Hallo, dich habe ich lange nicht mehr gesehen, wie geht es dir?“, fragte er deshalb und kam ihr entgegen.
Bambinchen schaute ihn mit ihren Rehbraunen Augen an und sagte traurig:
„Gestern wurde mein Gefährte von einem Wolf angefallen und getötet. Ich hatte Glück und konnte seinem Freund im letzten Augenblick entwischen.“
„Oh, das tut mir sehr leid! Ich wusste gar nicht, dass es hier im Wald Wölfe gibt!“
„Sie sind auch noch nicht lange hier. Im Frühjahr müssen sich die beiden hierher verirrt haben. Seither töten sie alles, was nicht schnell genug rennen kann! Mein Gefährte hatte sich seinen Fuß in eine Falle verletzt und humpelte, sodass er für diese Raubtiere eine leichte Beute war! Nun muss ich mich um Pünktchen alleine kümmern.“ Fragend schaute Bepop Bambinchen an, doch die Frage wurde schnell beantwortet, denn ein junges Kitz schaute neugierig hinter einem Busch hervor und trat vorsichtig hinter seiner Mutter. Als es merkte, dass von Bepop keine Gefahr drohte, sprang es munter auf den Acker hin und her. Bepop hingegen machte sich aus dem Staub, denn er wollte nicht versehentlich von dem übermütigen Kerlchen getreten werden. Der Nieselregen hatte auch aufgehört und ein wunderschöner Regenboden verzierte den Abendhimmel. Allerdings schenkte Bepop dem keine Beachtung, denn sein Magen knurrte und er wollte heim. So trottelte er über das Stoppelfeld zurück, wobei er bemerkte, dass viele Regenwürmer aus der Erde an die Oberfläche kamen. Auch Grabekriecher hatte noch etliche Haufen gegraben. Aus einem schaute er mit seiner Schnauze hervor, als Bepop daran vorbei kam. Bepop begrüßte ihn kurz:
„Na, bist du wieder fleißig?“
„“Notgedrungen!“, knurrte Grabekriecher. Meine Gänge sind zum Teil durch den starken Regen eingebrochen. Nun muss ich neue machen!“ Mit diesen Worten verschwand er wieder unter der Erde und Bepop sah, wie der nächste Sandberg entstand. Sein Magen erinnerte ihn daran, dass er nun endlich nach Hause gehen sollte. So wetzte er hüpfend mit seinen kurzen Dackelbeinen über die Stoppeln. Als die ersten Häuser in Sicht kamen, verlangsamte er seine Schritte und schnüffelte in die Luft. Irgendwie roch es komisch, aber er konnte den Geruch nicht zuordnen. Er musste niesen. Er lief weiter und schlüpfte unter dem Zaun hindurch, der den Garten vom Acker trennte. Wie angewurzelt stockte er dann mitten im Schritt. Seine Augen begannen zu tränen und der Gestank war für ihn unerträglich. Er schaute zu Apfelluna. Sie sah merkwürdig schwarz aus und qualmte. Vorsichtig näherte er sich dem Baum und beschnüffelte ihn. Wieder musste niesen. Was war nur mit dem Baum geschehen? Normalerweise brummte er schon, wenn er sich ihm nur näherte und versuchte ihn zu vertreiben. Aber nun war er ganz still. Bepop schaute hoch. Die Zweige hingen schwarz und düster herunter. Provozierend hob er sein Bein, doch der Baum reagierte nicht. Wieder schaute er ihn an und fragte:
„Was ist los mir dir?“
Doch er bekam keine Antwort. Irritiert wandte er sich ab und trottete zur Seitentür des Hauses und begann zu bellen. Das war für seinen Mensch das Zeichen, dass er ins Haus wollte. Er musste einige Zeit Krach machen, bevor die Tür aufging. Sein Frauchen sah auf ihn herab und stieß einen Schrei aus. Mit seinen braunen Augen sah er sie unschuldig und schwanzwedelnd an. Er konnte diesen Schrei nicht so richtig zuordnen. Freute sie sich so? Sollte er sie anspringen, um sie gebührend zu begrüßen? Aber eigentlich hatte er gelernt, dass die Menschen das nicht so gerne hatten. Darum hüpfte er nur aufgeregt vor ihr und signalisiert, dass er auch glücklich war, wieder daheim zu sein. Doch sein Frauchen seufzte nur und schloss die Tür vor seiner Nase. Empört bellte er. Was sollte das denn? Er hatte Hunger, war müde und wollte ins Haus. Für Bepops Magen war es eine Ewigkeit, als sich die Tür wieder öffnete. Diesmal gab er sich besondere Mühe, seine Wiedersehensfreude zu zeigen. Doch statt freundlicher Worte breitete sie nur schimpfend ein altes, stinkendes Handtuch über ihn aus und wickelte ihn darin ein. Er verstand die Welt nicht mehr. Was hatte sie denn bloß? Sie trug ihn im Waschkeller und setzte ihn auf die Erde. Er ahnte böses, denn er bemerkte eine Wanne und roch das Wasser. Seine Nackenhaare sträubten sich. Wollte sie ihn etwas ins Wasser stecken? Verzweifelte suchte er nach einem Ausweg, um ihr zu entwischen. Aber offensichtlich hatte sie es geahnt und packte ihn resolut in seinem Nacken. Vergeblich strampelte er mit seinen Beinen. Ehe er sich versah, stand er bis zum Hals in schäumendes Wasser. Die scharfen Worte seines Frauchen ließen ihn den Widerstand aufgeben. Nachdem er in den Augen seines Frauchens sauber genug war – nach seiner Auffassung war er überhaupt nicht schmutzig – durfte er die Wohnung betreten. Sofort holte er seinen Fressnapf, um ihr klar zu machen, dass er hungrig war. Menschen sind ja manchmal so schwer von Begriff! Zu seiner Erleichterung verstand sie ihn und er bekam sein Fressen. Danach legte er sich in sein Körbchen und schlief zufrieden ein.
Februar 14

Leseprobe Kapitel II; Felix, der Erbe des Herrschers

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II Kapitel

Die Sonne schien mir ins Gesicht und weckte mich mit ihren warmen, hellen Strahlen. Ich schlug die Augen auf. Ich horchte. War mein Hörvermögen zurückgekehrt? Es war still.

Nein, sah nicht so aus, denn sonst müsste ich die Vögel zwitschern hören können.

Okay, ein neuer Tag, um herauszufinden, warum diese unheimliche Stille um sich gegriffen hatte.

Ich stand auf und erledigte lustlos meine morgendliche Toilette. Meine Gedanken kreisten unermüdlich um die Frage, warum ich immer noch nichts hören konnte. Es war wenig tröstend, dass ich nicht allein mit diesem Problem war. Ich sah mein Antlitz im Spiegel an. Abgesehen davon, dass ich etwas müde wirkte, hatte ich nicht den Eindruck, dass ich krank aussah. Vielleicht gab es für alles eine harmlose Erklärung. Ich hoffte es sehr.

Ich ging in die Küche und machte mir mein Frühstück. Zu meiner Erleichterung hatte ich wieder Strom und konnte die Kaffeemaschine und den Toaster arbeiten lassen.

Allerdings stellte ich fest, dass ich dringend einkaufen musste.

Darum holte ich mir nach dem Frühstück mein Fahrrad aus dem Keller.

Als ich an meinem Auto vorbeikam, schaute ich es vorwurfsvoll an. Normalerweise erledigte ich grundsätzlich die Einkäufe mit dem Auto, aber das Luxusgefährt streikte ja, warum auch immer.

Obwohl es noch recht früh war, meine Uhr zeigte gerade mal 7.30 Uhr, war der Supermarkt, der circa fünf Fahrradminuten von mir entfernt war, brechend voll.

Zum Glück konnte ich noch einen der wenigen Einkaufswagen ergattern.

Die Leute hatten ihre Einkaufswagen hoch voll gepackt und an den Kassen bildeten sich Riesenschlangen.

Ich fuhr mit meinem Einkaufswagen die Regale ab und stellte fest, dass in den Regalen teilweise schon keine Waren mehr standen. Die Menschen deckten sich wohlweislich mit allem Notwendigen ein, da niemand mit Gewissheit sagen konnte, ob sich die Situation nicht noch verschlimmern würde.

So folgte auch ich dem Herdentrieb und füllte meinen Wagen mit reichlich Fertiggerichten, Nudeln und allem Haltbaren, was sich noch ergattern ließ.

Irgendwie füllte sich mein Einkaufswagen und war nach einiger Zeit genauso voll wie die der anderen Leute.

Nun steuerte ich noch die Schreibwarenabteilung an, besorgte mir eine Zaubertafel.

Damit konnte ich schnell das Geschriebene mit einem Schieber wieder entfernen.

Danach packte ich mir aus der Elektroabteilung noch eine Lampe ein, die ich mit der Klingel verbinden wollte, damit ich sah, wenn jemand vor der Tür stand.

Ich stellte mich an irgendeine Schlange an und wartete darauf, dass ich die Kasse irgendwann zu Gesicht bekam.

Nach einer gefühlten Ewigkeit konnte ich meine Waren auf das Transportband packen. Ich beobachtete die Kassiererin, die sehr konzentriert auf die kleine Anzeige an der Kasse starrte, während sie blind die Waren packte und über den Scanner zog.

Na klar, sie konnte das Piepsen des Scanners nicht hören und war deshalb gezwungen zu schauen, ob der Preis angezeigt wurde, was dann gleichbedeutend mit dem Registrieren der Ware verbunden war. Wenn sie daneben griff, musste sie wieder auf das Band schauen, dann wieder auf das Display. Kein leichter Job!

Ich sortierte meine Ware so, dass es für sie leicht war, die Waren ohne Fehlgriff einzuscannen.

Als ich bezahlen musste, schluckte ich ein wenig. Mit soviel hatte ich eigentlich nicht gerechnet.

Ich zückte meine EC-Karte und bezahlte in der Hoffnung, dass diese Funktion noch möglich war.

Zu meiner großen Erleichterung klappte es.

Puh, Glück gehabt!

Ich schob mit meinem Wagen aus dem Kaufhaus heraus und schlug den Weg Richtung Parkplatz ein. Doch dann stutzte ich, als ich bemerkte, dass kein einziges Auto dort stand. Meins natürlich auch nicht!

Ich stöhnte innerlich. Oh man, ich hatte in meinem Kaufrausch völlig vergessen, dass ich mit dem Fahrrad gefahren war! Ich schob den Einkaufswagen zu meinem Fahrrad und schaute es ratlos an. Unschuldig stand es auf seinem Ständer. Lediglich eine Seitentasche am Gepäckträger wies daraufhin, dass man dort etwas, aber auch wirklich nur etwas darin verstauen konnte.

Das ging ja gar nicht!

Damit konnte ich auf keinen Fall den Einkauf transportieren. Dazu war es zuviel. Notgedrungen entschloss ich mich, den Einkaufswagen bis zu meiner Wohnung zu schieben.

Als ich mich damit auf dem Weg machte, stellte ich fest, dass ich nicht der einzige war, der den Einkaufswagen nach Hause schob. Das erklärte auch, warum so wenige Wagen zur Verfügung standen, als ich zum Supermarkt kam. Insgeheim hoffte ich, dass mir niemand Bekanntes begegnete. Sah schon irgendwie blöd aus, einen voll gepackten Einkaufswagen durch die Stadt zu schieben.

Ich fragte mich, wie groß die Wahrscheinlichkeit war, dass mir ein bekanntes Gesicht über den Weg laufen würde. Ich gab mir selbst die Antwort: Sehr groß. Denn in dem Wohngebiet, in dem ich wohnte, herrschte eine gute Nachbarschaft. Jeder kannte jeden.

Ich schob den Einkaufswagen über den Bürgersteig. Blöderweise hatte ich einen erwischt, bei dem die Räder meinten, ihren Dienst nur nach Gutdünken auszuführen.

Andauernd verdrehten sie sich und es war etwas mühselig vorwärts zu kommen. Der Weg zu meiner Wohnung zog sich hin wie Kaugummi.

Zu meinem Glück traf ich keinen meiner Nachbarn, der sich über mich lustig machen konnte. Immerhin ein kleiner Trost.

Als ich endlich meine Wohnung erreicht hatte, war ich nass geschwitzt.

Mit Grauen dachte ich an den Rückweg, tröstete mich aber damit, dass der Wagen dann leer war und hoffentlich nicht so viele Probleme bereitete. Da ich keine Lust hatte, die ganzen Waren zum dritten Stock in meiner Wohnung zu schleppen, entschied ich mich, sie in meinem Kellerraum zu packen. Ich schob den Einkaufswagen ins Haus und parkte den Wagen direkt vor der Kellertreppe.

Natürlich blieb meine Packerei nicht unbeobachtet! Als erstes kreuzte Anja auf, die – zu meiner Überraschung – ebenfalls mit einem voll gepackten Einkaufswagen ankam.

Sie grinste mich an, als sie sah, dass sie das Gleiche gemacht hatte wie ich. Auch sie wollte die meisten Sachen in ihrem Keller verstauen und so half ich ihr, als ich meine Sachen verstaut hatte.

Nachdem wir fertig waren, präsentierte ich ihr meine Zaubertafel. Sie lächelte und zog ebenfalls eine aus ihrer Jackentasche.

Oh man“, dachte ich nur innerlich grinsend:„Zwei Doofe und ein Gedanke!“

Ich schrieb ihr, dass ich den Wagen zurückbringen und anschließend zur Arbeit fahren wolle. Sie nickte und schrieb zurück, dass sie auch vorhatte zur Arbeit zu fahren, um zu sehen, ob ihre Hilfe gebraucht würde.

Gemeinsam schoben wir die Einkaufswagen wieder zurück.

Als wir am Supermarkt ankamen, stürmten schon gleich Leute auf uns zu, um die Wagen zu ergattern. Etliche Hände reckten sich uns entgegen, einen Euro hochhaltend, um unsere Wagen zu erbeuten.

Ratlos schaute ich die Masse an.

Dann sah ich eine ältere, etwas gebrechlichere Dame im Hintergrund, die sehnsüchtig zuschaute, wie wir umringt wurden. Sicherlich traute sie sich nicht, sich in dem Gedränge zu mischen.

Während Anja ängstlich vom erstbesten den Euro entgegennahm und ihren Wagen abgab, schob ich ihn zielsicher zu der alten Dame.

Lächelnd übergab ich ihn ihr. Ein glückliches Lächeln legte sich auf ihr faltiges Gesicht. Sie wollte mir einen Euro geben, doch ich schüttelte den Kopf.

Ich hatte jede Menge Plastikchips, die ich immer nutzte, wenn ich einkaufen ging. Ich zog meine Zaubertafel heraus und schrieb eilig darauf:

Ist ein Plastikchip drin, können sie behalten!“

Sie nickte dankbar und schob den Wagen in den Supermarkt.

Als ich mich umdrehte, um zum Fahrradständer zu gehen, stand Anja direkt hinter mir und hob anerkennend den Daumen hoch. Sie deutete mir an, dass sie die hilflose Dame nicht gesehen hatte und sie meine Geste der alten Dame gegenüber sehr gut fand. Ich nickte verständnisvoll, denn mit meinen einsfünfundneunzig hatte ich natürlich eine bessere Übersicht als Anja, die, so schätzte ich, circa einssiebzig groß war.

Nichtsdestotrotz war ich schon immer der Meinung, dass man auf der Seite der schwächeren stehen sollte.

Denn jene haben die wenigsten Möglichkeiten, sich durchzusetzen.

Darum zuckte ich nur grinsend die Schulter und steuerte auf mein Fahrrad zu.

Komischerweise hantierte ein etwa siebzehnjähriger Junge an meinem Fahrrad herum. Verwundert schüttelte ich den Kopf und tippte ihn leicht auf die Schulter.

Er drehte sich um und schaute mir frech ins Gesicht.

Ich schaute böse zurück und machte ihm klar, dass das mein Fahrrad sei.

Dank meiner Zaubertafel war das überhaupt kein Problem.

Die einzige Reaktion, die von diesem in schwarzem und mit Springerstiefel gekleidetem Burschen kam, war ein unverschämtes Grinsen.

Danach nahm er eine drohende Haltung an und zog ein Springmesser aus seiner Jacke.

Meine Gedanken überschlugen sich.

Sollte ich flüchten und auf mein Fahrrad verzichten? Sollte ich mich ihm mutig entgegenstellen. Nein! Ich war schließlich Pazifist! Gewalt kam für mich nicht in Frage. Aber auf mein Fahrrad wollte ich dennoch nicht verzichten.

Zurzeit war es schließlich mein einziges Fortbewegungsmittel! Ich machte einen Schritt zurück, um einen Sicherheitsabstand zu gewinnen.

Hämisch lachte er mich an, drehte sich wieder zu meinem Fahrrad und versuchte erneut, das Schloss zu knacken.

Das war doch echt unglaublich! Er wagte es allen Ernstes in meinem Beisein, mein Fahrrad zu stehlen.

Das war ja an Unverfrorenheit nicht zu überbieten! Doch was sollte ich machen? Ich blickte um mich. Anja hatte die Situation mitbekommen und schaute mich mit entsetzten Augen an. Fragend blickte ich sie an. Doch auch sie schüttelte nur ratlos den Kopf. Es war eine verzwickte Angelegenheit.

Und wie immer in solchen Situationen, war weit und breit kein Polizist zu sehen.

Ich holte tief Luft und tippte den Typen abermals auf die Schulter.

Nun wurde er doch glatt wegen meiner Hartnäckigkeit ungehalten. Wütend drehte er sich um, zückte sein Messer und stürmte auf mich zu.

Reflexartig wich ich stolpernd zurück und setzte mich unsanft auf meinen Allerwertesten.

Nun am Boden liegend sah ich in das im höchsten Maße aggressive Gesicht des Diebes. Er hob seine Springerstiefel, um mich damit in den Bauch zu treten.

Ich schloss die Augen und hielt die Luft an. Aber der erwartete Tritt blieb aus. Ungläubig öffnete ich die Augen und sah, wie der Dieb selbst am Boden lag.

Ich rappelte mich auf und schaute Anja fragend an. Ich sah in ihr bleiches und völlig verblüfftes Gesicht.

Wieso lag er denn jetzt am Boden? Anja erklärte mir mittels Zaubertafel, dass, als er versuchte mich zu treten, es ausgesehen habe, als würde eine unsichtbare Wand ihn daran hindern, mich zu verletzen.

Weiter schrieb sie, dass der Dieb dann aber selbst das Gleichgewicht verloren hatte und hingefallen war.

Dummerweise war er dabei mit dem Kopf gegen den Fahrradständer gestoßen. Nun ärgerte es mich, dass ich die Augen geschlossen hatte.

Wieso verletzten sich die Angreifer immer selbst?

Es war jetzt schon das zweite Mal, dass ein Gewalttäter Opfer seiner eigenen Gewalt geworden war. Sah man mal von den Tölpeln in der Bäckerei ab.

Hing das mit der Taubheit zusammen?

Ich beschloss, alle ungewöhnlichen Vorkommnisse aufzuschreiben.

Vielleicht half mir das, herauszufinden, was los war.

Vorsichtig schaute ich zu ihm hinüber, aber er regte sich nicht. Nun doch etwas besorgt, ging ich zu ihm. Sein Gesicht war blass und dort, wo sein Kopf lag, bildete sich eine kleine Blutlache auf der Erde.

Er rührte sich immer noch nicht.

Das Messer war ihm aus der Hand geglitten. Vorsichtshalber stieß ich es mit dem Fuß fort.

Dann beugte ich mich, wachsam und auf alles gefasst zu ihm hinunter.

Ich schüttelte ihn vorsichtig. Benommen öffnete er seine Augen. Ich war erleichtert. Er lebte noch. Ob er es verdiente, dass er noch lebte war eine andere Frage, aber ich legte keinen Wert darauf, mich jeden Tag mit einem Toten herumschlagen zu müssen.

Ich half ihm, sich aufzurichten und schaute auf seinen Hinterkopf. Dort blutete es stark. Verstört sah er mich an. Ich bedeutete ihm, sich ruhig zu verhalten und gab Anja ein Zeichen, aus dem Supermarkt Verbandszeug zu holen. Sie flitzte los. Ich fragte mich:

Was mach ich hier eigentlich? Dieser Typ will dir dein Fahrrad klauen, bedroht und verhöhnt dich und du hilfst ihm?“

Ich konnte es mir auch nicht erklären, darum beschloss ich, mein Verhalten besser nicht zu hinterfragen.

Relativ schnell erschien Anja wieder mit dem Verbandszeug.

Ein Hoch auf diesen gut sortierten Supermarkt! Ich verband ihm den Kopf und riet ihm, einen Arzt aufzusuchen.

Er schaute mich an, ungläubig und verwundert.

Dann – ich traute meinen Augen nicht – kullerten ihm Tränen aus den Augen. Ich war sprachlos.

Was war das denn??

Harte Schale, weicher Kern?

Er war etwas wackelig auf den Beinen. Ich fragte ihn per Zaubertafel, ob ich ihn zum Arzt begleiten soll. Behutsam schüttelte er den Kopf, dann drückte er meine Hand und schlich langsam und wankend davon. Etwas besorgt schaute ich ihm nach. Bestimmt hatte er neben der Wunde noch eine Gehirnerschütterung.

Ich seufzte. Nein! Ich konnte ihn wirklich nicht alleine laufen lassen.

So wie ich mich kannte, würde ich mir Vorwürfe machen, wenn er auf der Straße zusammenbrechen würde.

Außerdem war er ja eigentlich noch ein halbes Kind!

Sicherlich war es der derzeitigen Situation geschuldet, dass er sich an meinem Fahrrad zu schaffen gemacht hatte. Was man als Entschuldigung natürlich nur halbwegs anführen konnte.

Ich schrieb dies Anja, die verständnisvoll nickte und erwiderte, dass sie mich ebenfalls begleiten wolle.

Irgendwie froh über ihre Antwort schloss ich mein Fahrrad auf und wir holten den Jungen rasch ein.

Da auch Anja ihr Fahrrad am Supermarkt aus demselben Grund hat stehen lassen, beschlossen wir, dass ich ihn auf meinem Gepäckträger lud. Überrascht, dass wir uns noch immer um ihn kümmern wollten, ließ er alles mit sich geschehen. Ich war mir sicher, dass er durch den Sturz nicht klar denken konnte und er froh war, dass jemand anders die Entscheidung für ihn traf.

Er umfasste meinen Körper und hielt sich krampfhaft an mir fest. Der Druck war mir etwas unangenehm, aber so war ich jedenfalls sicher, dass er mir nicht vom Fahrrad fiel.

Wir hatten beschlossen, ihn zum Krankenhaus zu fahren, denn da war er am Besten aufgehoben, da ein Arzt ihn wahrscheinlich sowieso aufgrund seiner Kopfverletzung dorthin geschickt hätte.

Als wir am Krankenhaus ankamen, stellten wir zu unserer Erleichterung fest, dass sich davor nicht wie am Vortage eine Menschenmasse angesammelt hatte.

Problemlos betraten wir es. Allerdings herrschte dort Hochbetrieb, sodass wir warten mussten. Ich schaute Anja an. Eigentlich musste ich dringend zur Arbeit. Mein Chef würde mich lynchen, wenn ich wieder erst am Nachmittag auftauchte.

Anja hatte die Idee, dass wir auf einen Zettel seinen Sturz und die Folgen beschreiben. Diesen konnte er dann bei der Anmeldung abgeben, sodass alles Weitere veranlasst werden konnte.

Wir erklärten es ihm und er nickte. Von seiner anfänglichen Überheblichkeit und Dreistigkeit war nicht viel übrig geblieben.

Er saß wie ein Häufchen Elend auf einem Stuhl.

Nun wirkte er nur noch wie ein unreifer Junge. Aufmunternd blickte ich ihm in die Augen. Ein Leuchten erschien in seinen Augen und er zeigte auf meine Tafel. Ich gab sie ihm und er schrieb:

Danke und Entschuldigung!“

Ich klopfte ihm sachte auf die Schulter und nickte vergebend.

Ich hoffte inständig, dass ihm diese Aktion eine Lehre sein wird. Dann verließen wir das Krankenhaus.

Bevor wir uns trennten, fragte ich Anja, zugegebener Maßen etwas nervös, ob es dabei bleiben würde, dass wir uns abends treffen könnten. Zu meiner Freude nickte sie. Daraufhin schrieb ich ihr, dass ich mich bei ihr melden würde, sobald ich wieder zu Hause wäre.

Ich radelte zur Redaktion. Ungeniert benutzte ich großzügig die Straße. Plötzlich überholte mich ein Auto. Verblüfft schaute ich hinterher. Hm, wieso fuhr das denn? Ich trampelte kräftig in die Kette und versuchte es zu verfolgen.

Da es nicht besonders schnell fuhr, gelang es mir, zumindest so nahe heranzukommen, dass ich erkennen konnte, dass es sich um ein Solarauto handelte.

Aha“, dachte ich. „ Solarautos fuhren also! Na, zumindest solange, wie die Sonne scheinen und die Batterie voll sein würde.“

Ich schaute auf die Uhr.

Mist, es war schon bald wieder Mittag. Es wurde Zeit, dass ich zur Arbeit kam.

Auf dem Weg zur Redaktion kam ich üblicherweise an einem Juwelier vorbei. Dort hatte ich mir vor kurzem eine neue Armbanduhr gekauft.

Jetzt bemerkte ich, dass sich davor einige männliche, nicht gerade vertrauensvoll weckende Gestalten aufhielten.

Ich bremste ab und schaute zu ihnen herüber.

Ich sah, wie einer eine Waffe aus der Hosentasche zog und die Ladentür öffnete.

Es war einfach unglaublich! Kaum befand man sich in einer Ausnahmesituation, krochen finstere Subjekte aus ihren Löchern und meinten, sie könnten machen was sie wollten.

Ich schaute mich um und sah nur vereinzelte Menschen, eilig irgendwohin gehen.

Für Überfälle war die jetzige Situation natürlich ideal!

Alarmanlagen wurden nicht gehört.

Die Polizei war auch nicht wirklich schnell und mobil.

Wer keine Bodyguards vor der Tür stehen hatte, war dem Mob hilflos ausgeliefert!

Ich überlegte. Sollte ich eingreifen oder nicht?

Wieder schaute ich mich um, in der Hoffnung, einen Polizisten zu entdecken. Leider vergebens. Ich war hin und her gerissen. Zwar war nicht nicht feige, aber ich wollte mich auch nicht wider besseren Wissens in Gefahr begeben.

Aber brachte ich mich überhaupt in Gefahr?

Bislang verletzten sich nur diejenigen selbst, die Gewalt ausüben wollten.

Oder war das nur reiner Zufall?

Sollte ich oder sollte ich nicht? In mir tobte ein Gewissenskrieg.

Aber – ich musste Gewissheit haben! Zuletzt siegte der Mut über die Angst.

Ich kettete mein Fahrrad an einer Straßenlaterne an, und ging ich auf die andere Straßenseite auf das Juweliergeschäft zu. Mein Herz pochte wild vor Aufregung. Ich blendete meine Angst aus, die vor Verzweiflung eine Warnung nach der anderen ausstieß und Todesszenen vor meinem geistigen Auge aufsteigen ließ. Ich atmete tief ein und stieß die Luft kräftig aus und ignorierte die zwei wartend vor der Tür stehenden Ganoven.

Ich öffnete die Tür.

Auch ohne, dass man ein Geräusch wahrnehmen konnte, spürte man die knisternde Spannung, die im inneren des Ladens herrschte.

Mit vorgehaltener Pistole bedrohte der Dieb die Besitzerin des Ladens.

Die wiederum packte mit zitternden Händen Schmuck und Uhren in einem Beutel, den sie offensichtlich von dem Dieb bekommen hatte.

Noch hatte der Räuber mich nicht entdeckt, denn ich stand in gebührenden Abstand hinter ihm und überlegte, was ich nun tun sollte. Die Juwelierin schaute mich mit angsterfüllten Augen an. Nun drehte sich der Dieb um und sah mich irritiert an. Dann bedrohte er mich ebenfalls mit der Pistole und deutete an, dass ich mich vor ihm stellen sollte, sodass er mich im Blick hatte. Ich grinste ihn tapfer an, während sich so langsam aber sicher der Angstschweiß auf meiner Stirn ausbreitete.

Ich verstand mich selbst nicht mehr!

Was tat ich hier eigentlich?

War ich nun komplett verrückt oder, ohne dass es mir bewusst war, lebensmüde?

Vielleicht hätte ich doch auf meine Angst hören sollen!

Aber es blieb mir keine Zeit, mein Verhalten zu analysieren, denn nun musste ich wohl oder übel handeln, denn es gab kein Zurück. Mit nassgeschwitzter Hand schrieb ich auf meine Zaubertafel:

Leg die Pistole weg und verschwinde!“

Ich zeigte ihm mein Geschriebenes.

Er lächelte hämisch und sein Gesicht verzog sich zu einer Fratze, dann tippte er sich am Kopf.

Offensichtlich hielt er mich für einen geisteskranken Idioten.

Ich konnte es ihm nicht verdenken.

Ich zweifelte selbst an meinem Verstand!

Fieberhaft zermarterte ich mir den Kopf, wie ich die heikle und gefährliche Lage im Griff bekommen könnte.

Zu allem Überfluss war einer seiner Freunde inzwischen ebenfalls in den Laden gekommen, um seinem Kumpel zu unterstützen.

Er unterstrich noch einmal seine Aufforderung, mich endlich neben der Ladeninhaberin zu stellen. Ich schaute von einem zum anderen. Mit diesen Verbrechern ist sicherlich nicht zu spaßen, darum folgte ich seiner Anweisung.

Innerlich verfluchte ich mich wegen meiner Dummheit. Warum war ich nicht draußen geblieben! Aber natürlich war es jetzt zu spät. Ich hoffte, dass ich einen Geistesblitz haben würde, der mich und im Idealfall auch die Besitzerin aus dieser kritischen Situation wieder heile herausbringen würde.

Ich dachte an mein Erlebnis in der Bäckerei und hoffe insgeheim, dass es diesmal auch so glimpflich ablaufen würde. Vielleicht bekam der Typ mit der Pistole einen Krampf im Arm und ließ die Pistole fallen. Ich schaute ihn an und dachte:

Tu mir den Gefallen und lass die Pistole fallen!“

Doch er richtete immer noch seine Waffe auf uns, während der andere der Ladeninhaberin den Beutel abnahm und selbst begann, den Schmuck weiter in einem Sack zu packen.

Wie würde er reagieren, wenn der Schmuck durch ein Loch im Sack wieder herausfallen würde“, dachte ich in einem Anfall von Galgenhumor.

Plötzlich zitterte die Hand des Räubers, der die Pistole in der Hand hielt. Er verzog sein Gesicht, so als durchzuckte ihn ein unerwarteter Schmerz, dann nahm er seine linke Hand zur Hilfe, um die Waffe mit beiden Händen zu halten. Dadurch war er einen Moment abgelenkt und ich nutzte die Gelegenheit, um blitzschnell vorzuschnellen, um ihm die Waffe aus der Hand zu schlagen. Anschließend setzte ich ihn mit einem gezielten Faustschlag auf den Punkt außer Gefecht.

Insgeheim pries ich meine Eltern, die darauf bestanden hatten, dass ich als Kind Selbstverteidigung erlernen musste.

Darum war ich Jahrelang in einem Judoverein gewesen.

In meiner jetzigen Situation rettete es mir vielleicht das Leben, wenn man jetzt mal davon absah, dass ich es auch leichtsinnig selbst aufs Spiel gesetzt hatte.

Mein Herz pochte als hätte ich gerade einen Tausendmeterlauf in zwei Minuten hinter mich gebracht.

Oh man! Ich war echt ein bisschen ga ga!

Rasch bückte ich mich und nahm die Pistole an mich. Der andere Schuft hatte natürlich meine Aktion mitbekommen, denn er unterbrach das Einsammeln der Schmuckstücke und schaute mich verblüfft mit offenem Mund an, dann zog er grinsend ein Springmesser aus seiner Tasche. Irgendwie hatte ich ein déjà-vu! So eins hatte ich doch heute morgen schon einmal gesehen! Ich seufzte und dachte:

Mir bleibt auch nichts erspart!“

Dann deutete ich mit der Pistole auf die Tür und dann auf ihn und seinem etwas angeschlagenen Freund.

Seine Miene verfinsterte sich und er schaute auf die Pistole, grinste höhnisch und blickte mich dann drohend an. Offensichtlich glaubte er nicht, dass ich schießen würde, denn er näherte sich mir, die Pistole völlig ignorierend.

Natürlich wollte ich nicht schießen und der Angstschweiß trat mir erneut auf die Stirn. Ich versuchte so gut wie möglich ein ebenso grimmiges Gesicht zu machen wie er, um ihm Angst einzuflößen. Doch er hob seine Hand, in der er das Messer hielt und stürmte auf mich zu. Ich wich ihm geschickt aus, sodass sein am Boden liegender Freund zwischen uns war. Er verschätzte sich und stolperte über ihn und fiel auf dem Boden.

Dabei verletzte er sich mit seinem Messer. Entsetzt schaute er auf seine stark blutende Wunde.

Ich schaute ihn entgeistert an. War dies ein erneuter Beweis, dass man sich nur selbst verletzten konnte, oder war dieser Missetäter unglücklich in sein Messer gestürzt. Wie dem auch sei, mir lief ein Schauer den Rücken hinunter, denn es wurde so langsam unheimlich!

Was passierte hier bloß?

Am liebsten hätte ich die Waffe in meiner Hand von mir geschleudert. Aber dass unterließ ich natürlich, denn als Druckmittel war sie unentbehrlich.

Dann beugte ich mich zu ihm hinunter und sah nach der Verletzung. Das Messer, das in seinem Bauch steckte, war zum Glück jedoch nicht sehr tief eingedrungen.

Ich vermutete, dass die Lederjacke, die er trug, das Schlimmste verhindert hatte.

Ich seufzte, dann rannte ich nach draußen und packte den Wartenden an die Hand und zog den Überraschten in den Laden.

Hilflos und geschockt blickte der Typ auf seine Kumpel.

Als er die beiden am Boden liegen sah, wollte er Reißaus nehmen, doch ich versperrte die Tür und machte ihm schriftlich klar, dass er nicht ohne seine Kumpels herauskommen würde.

Ich schlug vor, das Messer vorsichtig herauszuziehen und einen provisorischen Verband zu machen.

Inzwischen war der von mir k o geschlagene aufgewacht und blickte etwas irritiert um sich.

Mit der Waffe in der Hand veranlasste ich die beiden, ihren Kumpel mit dem Erste-Hilfe-Kasten zu verbinden, den Frau Fischer mit zitternden Händen geholt und ihnen übergeben hatte.

Offensichtlich hatte das Geschehene die drei völlig durcheinander gebracht, denn ich hatte Mühe, ihnen die nächsten Schritte klarzumachen.

Als der Dieb endlich provisorisch verbunden worden war, schrieb ich eilig auf meiner Tafel

Bringt ihn sofort ins Krankenhaus!“

Seine Kumpels hoben ihn vorsichtig hoch und schleppten ihn nach draußen.

Die stark blutende Wunde hinterließ einen hässlichen, großen Flecken auf dem hellen Teppich im Laden.

Mein Gott, was für eine Welt!“, dachte ich.

Da fiel mir noch was ein.

Schnell schrieb ich auf meine Tafel:

Für die Reinigung des Teppichs zahlt ihr“, und rannte hinter den Dieben her. Ich zeigte ihnen das Geschriebene.

Verdutzt und verstört starrten sie mich an. Einer zog seine Börse aus der Tasche und reichte mir fünfzig Euro.

Ich wunderte mich selbst über meinen Mut! Meine Angst hatte sich in den hintersten Winkel meines Geistes verzogen und schmollte wahrscheinlich. Mein Puls schlug ruhig und gleichmäßig und mein Gehirn arbeitete präzise und effizient. Irgendwie war ich stolz auf mich, dass ich diese Situation so gut gemeistert hatte.

Ich ging zurück in den Laden und legte die Pistole auf den Ladentisch, dann hob ich den Beutel mit den eingesammelten Schmuckstücken auf, den der Dieb bei dem Angriff auf mich fallen gelassen hatte. Dabei stellte ich verblüfft fest, dass sie durch ein Loch im Beutel wieder auf dem Boden fielen. Ich sammelte sie ein und legte sie auf der Ladentheke. Ich schaute zu Frau Fischer, die bleich und zitternd hinter dem Verkaufstisch stand.

Sie schien unter Schock zu stehen.

Ich ging zu ihr und legte ihr beruhigend meine Hand auf ihre Schulter.

Sie schaute mich an ohne wirklich zu verstehen, was geschehen war.

Sanft schob ich sie zum nächsten Stuhl und bedeutete ihr, sich zu setzen.

Ich schaute mich um. Das klügste war es wohl, wenn sie die Tür verschließen würde.

Ich schrieb ihr das. Sie nickte und zog einen Schlüssel aus ihrer Tasche.

Ich nahm ihn entgegen und verschloss die Tür.

In dem Zustand, in dem sie sich gerade befand, konnte ich sie unmöglich alleine lassen. Allerdings wollte mir auch nichts einfallen, was ich jetzt machen sollte.

Ich dachte nach. Vielleicht sollte sie was trinken. Ich entdeckte einen Trinkspender. Er war für durstige Kunden gedacht.

Ich füllte etwas Wasser in einem Becher und reichte ihn ihr. Dankbar nahm sie ihn an und trank. Fragend schaute ich sie an. Sie holte tief Luft. Dann zeigte sie auf meine Zaubertafel. Ich gab sie ihr.

Danke, ich glaube, sie haben mir das Leben gerettet.“

Ich lächelte sie an und schüttelte den Kopf.

Das glaube ich nicht, aber zumindest ihren Schmuck!“ schrieb ich zurück.

Ich reichte ihr die Fünfzig Euro und erklärte ihr, dass wäre von den Dieben für die Reinigung des Teppichs.

Verwirrt und ungläubig schaute sie mich an. Ich hatte das Gefühl, dass sie im Moment gar nichts verstand.

Versonnen blickte ich auf die Pistole stellte überrascht fest, dass es doch tatsächlich eine Spielzeugpistole war! Allerdings sah sie täuschend echt aus. Kein Wunder, dass der Ganove so spöttisch gegrinst hatte und trotz der Pistole in meiner Hand auf mich losgegangen war.

Es wunderte mich nur, warum ich sie trotzdem einschüchtern konnte, da sie letztendlich brav alles das gemacht hatten, was ich von ihnen verlangte. Wahrscheinlich hatten sie nicht damit gerechnet, dass der Überfall dermaßen misslingen und sich obendrein noch einer von ihnen verletzen würde. Offensichtlich hatte sie das völlig aus dem Konzept gebracht. Aber was sollte es, immerhin bin auch ich unversehrt aus dieser Lage herausgekommen, in der ich leichtsinnigerweise begeben hatte. Aber ich bereute es nicht.

Ich schrieb, dass ich die Polizei informieren wollte, da sie ja sowieso direkt neben der Redaktion lag.

Allerdings blieb ich noch etwas bei ihr, bis sie sich ein wenig von dem Schock erholt hatte. Irgendwann bekam ihr Gesicht wieder Farbe und ich schrieb ihr, dass ich nun gehen wollte.

Sie nickte und drückte mir dankbar die Hände. Ich schloss die Tür auf und deutete ihr an, sie wieder zu verschließen, was sie auch eilig befolgte.

Ich dachte:

Wenn das so weitergeht, braucht die Polizei eigentlich nur noch ins Krankenhaus gehen und dort alle mit Schuss- oder Stichverletzungen verhaften.“

Ich schloss mein Fahrrad auf und fuhr auf dem direkten Weg zur Polizei.

Ich hatte mir vorgenommen, meine Umwelt auszublenden, damit ich irgendwann auch wirklich an meiner Arbeitsstelle ankam.

Vor der Polizeistation angelangt, stellte ich mein Fahrrad ab und betrat das Gebäude. So langsam kam es mir richtig vertraut vor.

Ich steuerte sogleich das Büro von Herrn Wolfmann an. Die Tür stand offen und ich sah, dass er hinter seinem Schreibtisch saß.

Ich betrat das Büro.

Offensichtlich hatte er meine Bewegung wahrgenommen, denn er schaute hoch. Als er mich erblickte, schaute er mich mit besorgter Miene an. Ich konnte es nachvollziehen. Jedes Mal wenn ich auftauchte, gab es eine Hiobsbotschaft.

Ich informierte ihn über den Überfall. Er nickte und notierte sich die Adresse. Ich fragte ihn, ob es schon neue Erkenntnisse darüber gab, warum die Welt auf einmal so leise geworden war. Er schüttelte mit dem Kopf. Dann schrieb er, dass das einzige, was sich verändert hätte, wäre, dass sich so langsam aber sicher Chaos ausbreiten würde. Ich nickte, das hatte ich auch schon bemerkt.

Er fuhr fort, dass sämtliche Einsatzfahrzeuge irgendeinen mysteriösen technischen Defekt hatten, darum war es für die Einsatzkräfte unmöglich, bei Gefahr oder Konflikten schnell vor Ort zu sein. Es blieb ihnen als Fortbewegungsmittel nur das Fahrrad Segway oder das Pferd. Aber natürlich konnte nicht jeder reiten, also war zurzeit das Rad das angesagteste Fortbewegungsmittel.

Na ja“, dachte ich, „ besonders beliebt scheint das auch nicht zu sein, denn ich hatte noch keinen Polizisten mit Fahrrad gesehen.“

Ich teilte ihm mit, dass ich der Ansicht sei, dass es gar nicht so wichtig sei, dass die Polizisten schnell vor Ort sein müssten, denn die einzigen Personen, die gefährdet seien, waren diejenigen, die versuchten, Gewalt auszuüben. Er schaute mich fragend an. Ich erklärte ihm, dass sich bis jetzt nur diejenigen verletzt hatten, die Gewalt ausüben wollten. Warum das allerdings so war, war mir auch ein Rätsel.

Aber es war so!

Ich riet ihm, seine Leute anzuweisen, auf keinen Fall eine Waffe zu benutzen. Man wusste nie, was geschehen würde.

Ich gab ihm den Rat in den Krankenhäusern nach Schuss und Stichverletzungen zu schauen. Da konnte er schon eine Reihe Ganoven dingfest machen. Verblüfft schaute er mich an. Ich zuckte grinsend mit den Schultern und deutete ihm an, dass man zurzeit sehr seltsame Dinge zu sehen bekommen würde, wenn man mit offenen Augen durch die Straßen führe.

Da ich ganz offensichtlich nichts Neues mehr von ihm erfahren konnte, verabschiedete ich mich und verließ sein Büro. Im Flur begegnete ich einem Polizisten, der einen Verband um den Kopf trug. Ich schaute ihn an und schüttelte mit dem Kopf. Man sollte sich zurzeit gut überlegen, was man macht. Jegliche Ausübung von Gewalt einem anderen gegenüber fällt auf einem selbst zurück.

Gewalt ist einfach keine Lösung! Hoffentlich kam das irgendwann mal an. Ansonsten werden die Hersteller von Verbandsmaterial ihren Umsatz extrem erhöhen können.

Wobei ich mich fragte, wieso ich mich beim Angriff des Diebes nicht verletzt hatte. Aber ich verfolgte diesen Gedanken nicht weiter und nahm es erst einmal als gegeben hin, denn ich musste mich beeilen, um in die Redaktion zu kommen, da ich schon wieder ziemlich spät dran war.

Ich huschte an der offen stehenden Tür meines Chefs vorbei in der Hoffnung, dass er mich nicht bemerkte.

In der jetzigen leisen Welt war das eigentlich kein Problem. Ich setzte mich an meinem Schreibtisch und wollte den Rechner starten, als ich sah, dass mitten auf dem Bildschirm ein Zettel meines Chefs klebte auf dem dick unterstrichen stand:

Wenn du anwesend bist, komm sofort in mein Büro!“

Ich seufzte.

Mir blieb auch nichts erspart!

Widerwillig ging ich los und betrat das eben noch tunlichst gemiedene Büro.

Ich stellte mich vor seinem Schreibtisch. Er bemerkte mich und schaute mich böse an. Ich hatte den Verdacht, dass er meine Unpünktlichkeit nicht sonderlich tolerierte.

Ich schaute ihn mit der unschuldigsten Miene an, die ich zustande brachte. Dann, noch ehe er seinen Ärger in Buchstaben verwandeln konnte, schrieb ich ihm, dass ich heute Morgen fleißig recherchiert hätte.

Kurz berichtete ich ihm unter Zuhilfenahme seines PCs, was ich erlebt hatte. Er nickte. Sein Ärger verrauchte.

Wusste ich`s doch!

Eine gute Story ist für ihn das reinste Lebenselixier.

Er schrieb nur kurz:

Mach dich an die Arbeit und schreibe die Artikel druckreif!“

Ich ging wieder zurück zu meinem Schreibtisch und machte den Rechner an.

Während er hochfuhr schaute ich zu meinen Kollegen. Dabei stellte ich fest, dass ich nicht der Einzige war, der spät dran war, denn außer mir war nur Klaus da.

Fragend schaute ich ihn an und deutete auf die leeren Stühle, doch er zuckte nur mit den Schultern.

Zwei Stunden später, mir rauchte inzwischen der Kopf und ich hatte innerlich schon meine beiden fehlenden Kollegen verflucht, tauchte Dennis auf. Klaus und ich schauten ihn fragend und auch etwas böse an.

Schließlich mussten wir die Arbeit der anderen mit übernehmen. Er bedeutete uns, etwas zu warten, da er, wie auch nicht anders zu erwarten, ebenfalls beim Chef antreten musste.

Danach schrieb er uns, warum er so spät kam und Peter gar nicht.

Peter schlief gerne mit geöffnetem Fenster. An diesem Morgen wurde er wach, da Rauch in seinem Zimmer drang.

Er dachte erst, es würde in seiner Wohnung brennen.

Darum war er aus dem Bett gesprungen, um festzustellen, woher der Qualm kam. Erleichtert stellte er fest, dass bei ihm alles in Ordnung war. Als er jedoch nach draußen schaute, stellte er mit Entsetzen fest, dass aus dem Nachbarhaus Flammen schlugen.

Er rannte aus seiner Wohnung, um zu sehen, ob sich die Bewohner außerhalb des brennenden Hauses befanden.

Aber er konnte sie nicht unter den neugierigen Zuschauern entdecken. Darum rannte er wieder in seine Wohnung, befeuchtete in aller Eile eine Decke, schnappte sich einen Hammer und Meißel und flitzte wieder zurück.

Inzwischen war auch Dennis aufgetaucht. Die beiden brachen mit vereinten Kräften die Haustür des Einfamilienhauses auf. Während Dennis nun versuchte, die Feuerwehr zu alarmieren, drang Peter geschützt durch die feuchte Decke in das Haus ein. Aber der Qualm war so dick, dass er kaum etwas sehen konnte.

Hustend tastete er sich vorsichtig vor. Seine Augen brannten und begannen zu Tränen. Er kannte sich etwas in diesem Haus aus. Die Besitzer waren Aussiedler und lebten sehr zurückgezogen. Sie hatten ihn einmal um Hilfe gebeten, als sie ein schweres Möbelstück ins Haus transportieren mussten.

Leider gehörten sie einer strenggläubigen Sekte an und hatten eine etwas merkwürdige Weltanschauung. Besonders der Mann war in seiner Denkweise äußerst radikal. Die beiden Kinder, Zwillinge, waren sehr schüchtern, aber grüßten immer sehr höflich. Seine Frau schien ihm hörig zu sein. Sie befolgte alles, was er sagte.

Peters Gedanken rasten. Wo befanden sich die Bewohner? Im Schlafzimmer, in der Küche oder im Bad? Wo waren diese Räume? Gott sei Dank war es ein Bungalow, sodass alle Räume ebenerdig und überschaubar aufgeteilt waren. Auf Verdacht stieß er irgendeine Tür auf. Qualm und Flammen schlugen ihm entgegen. Den Raum konnte er nicht betreten ohne Gefahr zu laufen, selbst zu verbrennen! Er versuchte es bei der nächsten Tür. In diesem Raum war weniger Rauch. Er betrat ihn und stellte fest, dass es sich um das Kinderzimmer handeln musste.

Wo waren die Kinder?

Er schaute in die Betten und sah sie dort friedlich liegen. Lebten sie noch? Er hoffte es. Er schnappte sich die beiden. Gott sein Dank waren sie nicht besonders schwer. Er klemmte sich die beiden sechsjährigen unter die Arme und kämpfte sich durch den Qualm zurück. Die Sicht wurde immer schlechter.

Das Atmen fiel ihm immer schwerer. Keuchend sah er die offen stehende Haustür. Er musste würgen. Der beißende Qualm drang durch die inzwischen getrocknete Decke. Seine Augen tränten und er konnte kaum etwas erkennen. Er feuerte sich selbst an, um seine letzten Kräfte zu mobilisieren. Die rettende Eingangstür war nur noch wenige Meter entfernt. Aber seine Arme wurden kraftloser und er bekam keine Luft mehr. Die Brust schnürte sich zu. Ein stechender Schmerz machte sich breit und vor seinen Augen begann es zu flimmern, dann wurde es dunkel und er spürte vage, wie zwei kräftige Arme ihn packten.

Als er wieder die Augen aufschlug, lag er auf seiner Terrasse auf der Sonnenliege. Dennis legte ihm gerade einen kalten Waschlappen auf die Stirn. Er schaute ihn fragend an. Dennis verstand.

Die Kinder, was war mit ihnen?

Was war mit den Eltern?

Dennis fasste ihn beruhigend an die Schulter und hielt den Daumen hoch. Dann schrieb er auf einen Zettel, was sich ereignet hatte.

Er hatte die Feuerwehr per SMS alarmiert, danach die Schaulustigen aufgefordert, zu helfen und alle verfügbaren Wasserschläuche zu holen und zu aktivieren. Leider stellte sich schnell heraus, dass es nicht möglich war, mit dem geringen Wasserdruck das Feuer zu löschen.

So beschränkte man sich darauf, die Nachbargebäude nass zu machen und sie vor ein übergreifen des Feuers zu schützen. Währenddessen hatte sich Dennis ebenfalls eine Decke nass gemacht und wollte gerade das Haus betreten, als er Peter mit den zwei Kindern in dem Hausflur entdeckte. Als Peter dann schwankte und zu Boden stürzte, zog Dennis ihn aus dem Haus. Ein anderer Mann, der ins Haus spritzen sollte, während Dennis dort hineingehen wollte, hatte dann die beiden Kinder herausgeholt.

Ja, die Kinder lebten! Sie hatten großes Glück gehabt, dass zufällig ein vorbeikommender Arzt erste Hilfe leisten konnte.

Während sein Zustand nicht kritisch war, eine leichte Rauchvergiftung, befanden sich die Kinder jedoch in einer ernsteren Verfassung. Ein Mann hatte in Windeseile seinen Fahrradanhänger aus seiner Garage geholt, mit Decken gepolstert und dann die Kinder vorsichtig hineingelegt. Zusammen mit dem Arzt wurden die Kinder dann zum Krankenhaus transportiert.

Dennis schaute Peter an. Dann schrieb er weiter. Leider war es nicht mehr möglich, das Haus zu betreten. Die Rauchentwicklung und die Hitze waren zu stark geworden. Es wäre zu gefährlich gewesen.

Vor einigen Minuten waren dann Feuerwehrleute angerückt – mit Fahrrädern. Sie hatten aber einen Feuerwehrschlauch mitgeschleppt, den sie an einem Hydrant angeschlossen hatten. Nun waren sie dabei, das Feuer zu löschen. Unter den gegebenen Umständen sah es aber so aus, dass von dem Haus nicht mehr viel zu retten war.

Ob sich noch Menschen in dem Haus befunden haben, wird erst nach dem Löschen des Feuers geklärt werden können.

Peter nickte.

Ihm standen die Tränen in den Augen.

Er hatte sein Möglichstes getan. Aber er fürchtete, dass die Kinder nun ohne Eltern sein würden. Da er sehr kinderlieb war, tat ihm sein Herz weh. Er wünschte sich so sehr Kinder, aber seine Freundin lehnte das zurzeit noch ab, da sie gerade mit dem Studium fertig geworden war und erst einmal arbeiten wollte.

Sie hatte eine Anstellung in Berlin gefunden und sich dort eine kleine Wohnung gesucht. Nun sahen sie sich nur an den Wochenende. Das war natürlich eine denkbar ungünstige Konstellation für einen Kinderwunsch. Sie bestätigten damit definitiv die Statistik, die besagte, dass die Paare recht spät Kinder bekamen.

Der Arzt hatte Dennis gesagt, dass Peter sich Ruhe gönnen und jegliche Art von Anstrengung meiden sollte. Das war der Grund, weshalb Dennis allein zur Arbeit gekommen war.

Klaus und ich nickten verständnisvoll. Unter solch einer Bedingung war es natürlich klar, dass Peter nicht arbeiten konnte. So machten wir drei uns dann wieder an die Arbeit und kämpften gegen den Wust von Mail.

Es war schon dunkel, als mein Chef, Klaus und ich die Redaktion verließen. Dennis war früher gegangen, da er sich Sorgen wegen Peter machte.

Ich spielte kurz mit dem Gedanken, Peter noch zu besuchen, entschied mich aber dann doch dagegen, da ich zu müde war.

So stieg ich auf mein Rad und fuhr direkt nach Hause. Irgendwie war mein Kopf leer. Ich fühlte mich eingeschlossen in einer stillen Welt. Seit zwei Tagen war es still, doch ich hatte das Gefühl, dass dieser Zustand schon eine Ewigkeit dauerte. Die laue Mailuft streichelte mein Gesicht. Ich schaute zum Himmel hinauf und sah die Sterne funkeln. Der Vollmond erhellte meinen Weg. Alles wirkte friedlich und unschuldig. Vielleicht gab es für alles eine harmlose Erklärung. Verbrechen und Unglücke passierten auch schon vor der Stille. Ich hoffte inbrünstig, dass die Regierung morgen Entwarnung geben würde und alles so sein würde, wie immer. Leider gab es in der hintersten Ecke meines Kopfes eine Stelle die mir sagte, dass meine Hoffnung sich nicht erfüllen würde. Ich verdrängte diesen Gedanken.

Zu Hause angekommen, schleppte ich mein Rad in den Keller. Dort war es vor Langfingern sicher. Als ich vor meiner Wohnungstür ankam, klebte ein Zettel daran. Er war von Anja. Oh je, das hatte ich total vergessen! Ich hatte mich ja mit ihr für heute Abend verabredet! Ich riss ihn ab und las:

Hallo Felix, leider können wir uns heute Abend nicht treffen, da ich zu meinen Eltern gefahren bin, um zu erfahren, ob alles mit ihnen in Ordnung ist. Ich melde mich bei dir, wenn ich wieder da bin. Gruß Anja.“

Enttäuscht und gleichzeitig ein wenig erleichtert las ich die Nachricht. Enttäuscht, da Anja nicht da war und ich mich in ihrer Gesellschaft sehr wohl fühlte und glücklich war. Erleichtert, weil ich schon wieder sehr müde war und ich wahrscheinlich einen schlechten Gesellschafter abgegeben hätte, der sofort eingeschlafen wäre.

Ich schloss die Tür auf und betrat meine Wohnung. Mein Magen knurrte. Es wurde Zeit, dass er gefüllt wurde. Vor lauter Arbeit war ich nicht zum Essen gekommen. Ich schnappte mir eine tiefgefrorene Pizza und schob sie im Backofen. Dann ging ich ins Bad und nahm eine wohltuende Dusche. Ich wünschte mir, man könnte die Probleme genauso leicht abwaschen wie den Schmutz vom Körper.

Nach dem Essen legte ich mich völlig erschöpft ins Bett. Der Tag schaffte mich. Ich schloss die Augen und schlief sofort ein.

Ich wanderte durch den Stadtpark. Die Sonne strahlte vom blauen Himmel und wärmte meine Haut mit ihren Strahlen. Das satte Grün des Rasens umspielte sanft meine Füße. Die Vögel zwitscherten munter in den Bäumen. Der Wind schaukelte mit einem leisen Säuseln die Blätter hin und her. Ich hörte den Wind und die Vögel genauso wie das Lachen der spielenden Kinder. Es war eine Oase des Friedens und der Idylle.

Doch dann fiel mir ein, dass beim letzten Mal, als ich hier war, ein Mann auf mich geschossen hatte. Misstrauisch schaute ich mich um. Doch es blieb friedlich.

Mein Blick fiel auf die tobenden Kinder. Zwei Jungen spielten fröhlich Fangen, wobei einer versehentlich in einem der zahlreichen Sandkuchen trat, die von zwei Mädchen gebacken wurden.

Das kleine Mädchen hob mahnend ihren Finger und erneuerte ihren Kuchen. Der Übeltäter entschuldigte sich schuldbewusst und half dem Mädchen dabei.

Neben dem Spielplatz standen einige Leute, die einen Mann umringten.

Neugierig näherte ich mich dieser Gruppe, die mein Kommen neugierig beäugten.

Jener Mann stand auf einer kleinen Erhöhung und hatte die Arme ausgebreitet. Er schaute die Menge wortlos, aber durchdringend an. Auch ohne dass er etwas sagte, strömte von ihm eine unsichtbare Anziehungskraft aus. Man geriet sofort in seinem Bann. Ich konnte es nicht beschreiben, aber ohne dass er einen Ton von sich gab, strahlte von ihm eine unbekannte, mächtige Autorität aus. Ich schaute ihn an, aber ich konnte sein Gesicht nicht erkennen. Ich strengte meine Augen an, doch so sehr ich mich auch bemühte, – ich bekam kein klares Bild von ihm. Ich wollte mich wieder abwenden, um weiterzugehen, doch meine Füße waren schwer wie Blei. Ich klebte förmlich am Boden fest.

Was war das denn jetzt schon wieder?“

Ich schaute zum Boden. Das Gras war verschwunden und ich stand auf harten Steinen. Verwirrt blickte ich wieder zu dem seltsamen Mann. Seine Augen ruhten auf mich. Ich fühlte es, obwohl ich ihn immer noch nicht erkennen konnte. Verzweifelt versuchte ich mich zu lösen, aber es gelang mir nicht. Ich hatte den starken Verdacht, dass diese Magie von dem Mann ausging, dessen Augen mich unentwegt fixierten. In mir stieg Wut auf:

Was willst du von mir? Lass mich gehen!“ schrie ich.

Regungslos schaute er mich an. Nach wie vor konnte ich mich keinen Millimeter rühren. Die Angst löste die Wut ab. Ich blickte um mich. Eine dunkle, neblige Wand zog auf. Sie verschluckte die Menschen um mich herum. Auch die Gestalt des seltsamen Mannes war nur noch verschwommen zu erkennen.

In meiner Hilflosigkeit kämpfte ich mit meiner Angst und Wut gleichzeitig.

Die Umgebung verschwand immer mehr in ein undurchsichtiges Nichts.

Ich schüttelte den Kopf. In was für eine seltsame Situation war ich da geraten. Doch als erstes musste ich versuchen, meine Füße vom Boden zu bekommen. Ich bückte mich und umfasste mit beiden Händen die Wade meines rechten Beines. Mit aller Kraft, die ich aufbringen konnte, zog ich daran.

Mein Fuß löste sich ganz leicht vom Boden. So als wäre er überhaupt nicht festgeklebt gewesen. Leider hatte diese Aktion zur Folge, dass ich das Gleichgewicht verlor und mich äußerst unsanft auf meinen Allerwertesten setzte.

Ich fluchte innerlich und schaute mich mit weit aufgerissenen Augen um. Die Umgebung hatte sich verändert. Irgendwie kam mir alles nun sehr vertraut vor. Ich stand auf, rieb mir mein Hinterteil und versuchte etwas zu erkennen.

Ein feiner Lichtstrahl drang durch ein Fenster. Ich erkannte mein Schlafzimmer. Ich tastete mich an der Wand entlang zum Lichtschalter.

Meine Güte“, dachte ich: „Warum stehe ich schon wieder schlafwandelnd im Zimmer?“

Klar, als Kind war mir das ab und zu nach lebhaften Träumen passiert.

Aber das war lange her. Jetzt war mir das schon zwei Tage hintereinander passiert.

Ich ging zum Fenster und zog den Rollladen hoch.

Es war eine sternenklare Nacht. Der Vollmond beleuchtete die Umgebung mit seinem geisterhaften Licht. Lag es am Mond, der mich in diesen merkwürdigen Traum führte? Komisch war nur, dass der Traum mich immer zum selben Ort führte.

Ich dachte nach. Warum war ich immer im Stadtpark? Lag es daran, dass der Stadtpark unserer Stadt so wunderschön gestaltet worden war. Er bot Platz zur Erholung und Entspannung. Er hatte Spielplätze für die Kinder, einen Bolzplatz, eine große Wiese, um dort Federball oder was auch immer zu spielen.

Es gab einen extra für Dauerläufer angelegten Weg, der von Bäumen umsäumt war. Auch an die Radfahrer war gedacht worden. Es gab einfache Strecken ohne Steigungen oder für ganz Hartgesottene mit Steigungen und Hindernissen. Wer aber einfach nur relaxen wollte, suchte sich einen Platz unter schattigen Bäumen und ließ seine Seele baumeln.

Es wurde sogar ein Biotop angelegt, durch das man auf angelegten Pfaden die ursprüngliche Natur mit seltenen Pflanzen bewundern konnte.

Dieser Stadtpark war der beliebteste Treffpunkt der Stadt. Bei schönem Wetter tummelte sich mitunter dreiviertel der Bewohner im Park und genoss die Natur.

Auch ich nutze den Park sooft ich konnte. Ich liebte den Fahrradparcours mit seinen Hindernissen. Als Kind hatte ich mich dort oft mit meinen Freunden getroffen und im Wald gespielt. Ich hatte eigentlich nur angenehme Erinnerungen an den Park. Darum wunderte es mich doch sehr, warum ich in diesem Refugium der Erholung und Entspannung in meinen Träumen ständig merkwürdige und beängstigende Begegnungen hatte.

Ich schüttelte meinen Kopf. Es war noch mitten in der Nacht. Ich brauchte dringend noch etwas Schlaf. Ich ließ die Rollladen hoch, sodass ich vom Bett aus den Sternen zusehen konnte. Irgendwie beruhigte mich der Anblick. Ich schloss meine Augen und schlief nach einiger Zeit wieder ein.

 

 

August 16

Leseprobe: Kapitel I; Felix, der Erbe des Herrschers – Roman

Leseprobe. – Das kopmlette E-Book ist ab sofort bei amazon, weltbild, thaila, kobo, hugendubel, e-book.de für 2,99€ zu erwerben

 

Kapitel I

Ich sah auf meinen Wecker. Es war schon nach sieben Uhr! Mit Erschrecken stellte ich fest, dass er geläutet haben musste. Ich schüttelte verwundert meinen Kopf, denn normalerweise hörte ich ihn immer. Ich musste ziemlich fest geschlafen haben.

Rasch stand ich auf und ging ins Bad, komischerweise vernahm ich jedoch keinen Laut. Was war bloß los? Ich hörte weder das Rauschen der Klospülung noch das des Wasserhahnes.

War ich über Nacht taub geworden?

Ich schaute mein Spiegelbild an:

Na Felix, du Schlafmütze, ich denke wir müssen heute den Turbo anwerfen, damit wir pünktlich zur Arbeit kommen!“, sprach ich es an, doch ich hörte nichts. Ich sah nur, wie sich meine Lippen bewegten.

Panik breitete sich so langsam in meinem Körper aus, mein Herz pochte vor Aufregung doppelt so schnell. Angst kroch bedrohlich durch meine Adern.

Ich versuchte mich zu beruhigen, doch das war nicht so leicht. Verzweifelt schüttelte ich meinen Kopf und fasste mich an die Ohren. Nichts – kein Geräusch! Totenstille!

Aber – es half jetzt auch nicht, sich verrückt zu machen. Es war sicherlich sinnvoller, mein Problem sachlich anzugehen. Vielleicht hatte ich über Nacht einen Hörsturz bekommen?

In einer Zeitschrift las ich vor einiger Zeit, dass es normalerweise keine bleibenden Schäden geben würde, wenn man diesen sofort behandelte. Ich beschloss, einen Arzt aufzusuchen.

Eilig aß ich eine Kleinigkeit und überlegte mir währenddessen, statt eines Facharztes zuerst meinen Hausarzt aufzusuchen, da er nur zehn Gehminuten von mir entfernt seine Praxis hatte. Außerdem war er der Vater meines besten Freundes. Vielleicht konnte er mir ja schon helfen, dann sparte ich mir den Gang zum Spezialisten.

Es war ein komisches Gefühl, als ich aus dem Haus trat und um mich herum totale Stille herrschte.

Immer wieder presste ich meine Handflächen auf meine Ohren, in der Hoffnung einen Druck aufzubauen, der meine Ohren dann veranlasste, ihren Dienst wieder aufzunehmen. Leider blieb mein Unterfangen ohne jeglichen Erfolg.

Auf dem Weg zum Arzt fiel mir auf, dass es auf der Straße sehr ruhig war. Genau genommen hatte ich überhaupt noch keine Autos auf den Straße fahren sehen. Das war schon recht merkwürdig. Auch wenn unser Bürgermeister keine Mühen gescheut hatte, den Verkehr zu minimieren und durch sehr moderate Preise der öffentlichen Verkehrsmittel die Nutzung attraktiv zu gestalten, gab es natürlich immer noch genügend Gründe, das Auto zu nutzen.

Doch schnell trieben mich meine Gedanken wieder zu meinen streikenden Ohren.

Ich konnte mich nicht erinnern, in der letzten Zeit übermäßigen Stress ausgesetzt gewesen zu sein. Ich zerbrach mir den Kopf, aber mir fiel keine plausible Erklärung für meine Taubheit ein.

So in Gedanken versunken, erreichte ich die Praxis meines Hausarztes.

Eine Menschentraube stand vor der Tür. Jedoch herrschte eine Unruhe in der Menge, denn während sich ein Teil der Leute zur Tür drängten, schälte sich der andere Teil wieder aus der Masse hervor. Geschickt manövrierte ich mich durch sie hindurch, um die Tür zu erreichen. Empörte Blicke begleiteten mich, doch ich ignorierte sie. Da ich nicht gerade der Kleinste war, gelang es mir, über die Vordersten hinwegzusehen und erspähte einen handgeschriebenen Zettel, der an der Eingangstür befestigt war:

Wegen Krankheit geschlossen!

Na super! Das fehlt mir gerade noch!“, dachte ich frustriert.

Auf den Gesichtern der anderen Leute spiegelte sich ebenfalls Ratlosigkeit wider.

Müssen wir wohl zu einem anderen Arzt gehen“ sagte ich laut.

Doch die Umstehenden schauten mich nur verständnislos an. Zwar konnte ich mich nicht hören, ging aber davon aus, dass ich laut und deutlich gesprochen hatte.

Oh man“, dachte ich. „Die Woche fängt ja gut an.“

Aber, egal, sollten sie doch denken, was sie wollen. Ich musste jetzt erst einmal sehen, dass ich einen Arzt fand, der meine Ohren untersuchte. Gott sei Dank war der nächste praktische Arzt auch nicht weit entfernt. Doch als ich mich der Praxis näherte, bot sich mir dasselbe Bild wie zuvor: Eine Menschenmenge stand unschlüssig vor der Tür.

Ups“, dachte ich, „ der hat heute viel zu tun.“

Ich schaute in ratlose Gesichter. Während etliche Leute hilflos umherschauten und einfach nur dastanden, kamen andere mir schon wieder entgegen, sodass ich mir wieder den Weg zur Eingangstür bahnen musste. Als ich sie erreichte, war meine Überraschung groß, als ich auch hier ein Schild vorfand mit dem Text:

Wegen Krankheit geschlossen!

Mein Gott, was ist denn heute bloß los“, fragte ich mich. Ich beschloss, nach Hause zurückzukehren und zum nächsten Krankenhaus zu fahren.

Ich überlegte, dass ich verrückt wäre, wenn ich das Auto in meinem Zustand nutzen würde!

Allerdings konnte ich es nicht lassen, mich trotzdem hineinzusetzen, um es zu starten.

Wie startet man ein Auto, ohne zu hören, ob es läuft? Na ja, es vibriert, dass werde ich merken“, dachte ich und drehte den Zündschlüssel um. Doch ich spürte keinerlei Vibration. Ich war mir aber ziemlich sicher, dass mein Auto vollkommen intakt war.

Ich stieg aus und legte meine Hand auf die Motorhaube. Keinerlei Erschütterungen. Nichts zu spüren, überhaupt nichts! Das Auto war stumm.

Ich zog den Zündschlüssel wieder ab und tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich es wahrscheinlich sowieso nicht genutzt hätte, da es viel zu gefährlich war, sich taub mit einem Auto in den Straßenverkehr zu stürzen. Wenn man es gewohnt war, würde es vielleicht gehen. Man müsste sich sicherlich mehr konzentrieren, aber dazu grübelte ich im Moment zu sehr darüber nach, woher die Ursache für meine Taubheit kam.

So beschloss ich, bei meiner Nachbarin zu klingeln, um sie um Hilfe zu bitten. Aber niemand öffnete die Tür. Also versuchte ich es bei dem Nächsten. Doch auch dort machte keiner die Tür auf. Wahrscheinlich waren gerade heute alle extrem fleißig und früh zur Arbeit gefahren.

Gefahren?

Ich hatte doch überhaupt noch kein Auto auf der Straße fahren gesehen. Merkwürdig!

Ich holte mein Fahrrad aus dem Keller, stieg seufzend aufs Rad und machte mich auf dem Weg zum nächsten Krankenhaus, das jedoch einige Kilometer entfernt war. Zum Glück zeigte sich der Mai in diesem Jahr von seiner besten Seite und die Sonne strahlte schon frühmorgens aufmunternd auf mich herunter, sodass man das Ganze unter einem sportlichen Aspekt betrachten konnte.

Ich fuhr eigentlich gerne Rad, wenn es nicht gerade wie aus Eimern schüttete, radelte ich oft zur Arbeit. Bei schönem Wetter unternahm ich ausgedehnte Radtouren, zurzeit leider meistens alleine, da mein bester Freund, Aaron, vor einem Jahr aus beruflichen Gründen nach Süddeutschland ziehen musste. Seine Eltern waren damals nicht besonders begeistert gewesen, dass er sich nicht in der Nähe einen Job als Informatiker gesucht hatte, aber letztendlich mussten sie sich damit abfinden. Genauso wie meine Eltern akzeptieren mussten, dass ich sie nicht in die USA begleiten wollte.

Aber Dank der heutigen Vielfalt der Kommunikationsmittel stand ich immer noch in regem Kontakt mit ihm. Das Gleiche galt natürlich auch für meine Eltern.

Ich beschloss, zur Sicherheit auf dem Bürgersteig zu fahren. Da sah ich, wie mir meine Nachbarin Anja tränenüberströmt entgegenkam.

Anja war erst vor einem halben Jahr in die Wohnung gegenüber eingezogen. Sie war schlank und hatte eine sportliche Figur. Ihre dunklen Haare umspielten ihr hübsches, wenn auch verweintes Gesicht. Ich schätzte sie auf Anfang zwanzig. Also ungefähr mein Alter, denn ich war fünfundzwanzig. Allerdings hatten wir bislang noch keine Gelegenheit gehabt, uns richtig kennen zu lernen. Sie hatte sich kurz nach ihrem Einzug vorgestellt, als wir uns im Treppenhaus zufällig begegneten. Wir hatten zwar beschlossen, uns mal auf ein Bierchen zu treffen, aber wie das so ist, es fehlte einfach die Zeit.

Nach dem Aus meiner Beziehung vor einigen Monaten, meine Ex sprach damals von einer Beziehungspause, hatte ich mich in meiner Arbeit vergraben und alles andere ausgeblendet. „Seelische Erholung durch Arbeitsstress“, bezeichnete ich das insgeheim.

Nun stieg ich wieder ab und fragte sie, was los sei. Allerdings erkannte ich gleich bei der Frage, dass das etwas dumm von mir war, da ich ja ihre Antwort gar nicht hören konnte. Also fügte ich hinzu, dass ich zurzeit taub sei. Doch sie schüttelte nur mit dem Kopf und deutete auf ihre Ohren und sagte dabei etwas, was ich natürlich auch nicht verstand. Allmählich stieg in mir ein leiser Verdacht auf.

So deutete ich ihr an, mir zu folgen.

Als wir in meiner Wohnung waren, schrieb ich auf einen Zettel, was mit mir los war. Zu meiner großen Überraschung stellte sich heraus, dass sie genau dieselben Symptome hatte wie ich.

Ich schlug ihr vor, natürlich schriftlich, gemeinsam zum Krankenhaus zu fahren. Vielleicht war es ein unbekannter Virus, der unser Gehör außer Gefecht gesetzt hatte.

Sie nickte erleichtert, glücklich, nicht allein mit ihrem Problem zu sein. Allerdings galt das auch für mich. So machten wir uns nun gemeinsam auf dem Weg zum nächsten Krankenhaus. Es war die geräuschloseste Radtour, die ich jemals unternommen hatte.

Da wir beide nichts hörten, machte es wenig Sinn, sich zu unterhalten. Allerdings beunruhigte es mich sehr, was ich während der Fahrt sah – oder besser gesagt nicht sah. Auf den Straßen fuhr kein einziges Auto. Man sah vereinzelte Radfahrer, die mit versteinertem Gesicht in dieselbe Richtung fuhren wie wir.

Ich hatte das Gefühl, dass meine anderen Sinne durch den Hörverlust geschärft wurden. Ich nahm meine Umgebung viel intensiver wahr. Die jungfräulichen Blätter der Bäume, die sich vom Winde wiegen ließen, oder das satte Grün des Grases am Wegesrand.

Ich warf einen Blick zu Anja, die offensichtlich auch in Gedanken versunken war. Ich glaubte fast, ich hörte ihre Gedanken und ihren Wunsch, dass unsere Symptome harmlos wären. Ich seufzte innerlich und stimmte ihr zu. Auch ich hoffte dies sehnlich. Dann schüttelte ich den Kopf:

Meine Güte“, dachte ich, „jetzt fange ich schon an zu fantasieren, und bilde mir ein, Anjas Gedanken wahrzunehmen!“

Endlich kam das Krankenhaus in Sicht, aber wir konnten es kaum glauben, was wir dort sahen.

Es war belagert von einer riesigen Menschenmenge. Tausende drängelten und schubsten sich gegenseitig weg. Hier und da wurden einige sogar handgreiflich, um sich zum Eingang des Krankenhauses durchzuschlagen.

Entgeistert schauten Anja und ich uns an. Dann schüttelte ich mit dem Kopf. Hoffnungslos! Ich deutete ihr an, dass ich umkehren wollte. Da kam mir eine Idee. Ich fragte ganz laut in die Runde, was denn hier los sei und warum hier ein derartiger Menschenauflauf herrsche.

Mir war schon klar, dass ich die Antworten nicht verstehen würde, aber darauf kam es mir auch gar nicht an.

Niemand reagierte auf meine Frage – so als hätte mich keiner gehört!

Genau das hatte ich mir gedacht. Meine Vermutung, dass alle Leute dasselbe Problem wie Anja und ich hatten bestätigte sich damit.

Es konnte nicht sein, dass plötzlich alle auf einmal taub waren! So einen Virus gab es doch gar nicht! Ungläubig schüttelte meinen Kopf. Das war doch äußerst seltsam.

Wir drehten uns um, um uns wieder auf den Heimweg zu machen, als wir sahen, wie sich jemand brutal durch die Menge boxte. Natürlich ließen sich das einige nicht gefallen und wehrten sich, worauf der Mann eine Pistole zog und in die Luft schoss.

Allerdings hatte das nicht den erwünschten Erfolg. Wie denn auch, wenn keiner den Knall hören konnte?

Daraufhin zielte dieser rabiate Mensch mit seiner Pistole auf einen kräftigen Mann, der ihm den Weg verstellt hatte. Doch plötzlich zitterte die Hand des Kriminellen, in der er die Waffe hielt. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer Fratze und seine Augen wurden glasig. Dann richtete er die Waffe auf seine Brust und drückte ab.

Ich hielt die Luft an. Was war denn da gerade passiert! Schockiert und entsetzt schaute ich zu dem Mann, der zu Boden gefallen war und regungslos liegenblieb.

Aus seiner Brust quoll Blut. Ich erschauderte und auch die umstehenden Menschen wichen entgeistert zurück. Keiner traute sich, zu dem am Boden liegenden zu gehen und nachzuschauen, was mit ihm los war.

Verstört und zutiefst erschrocken blickte ich auf den am Boden liegenden Mann. Auch ich wäre am liebsten zurückgewichen und hätte Reißaus genommen, doch meine innere Stimme sagte mir, dass ich mich um ihn kümmern und mich nicht, wie alle anderen abwenden und wegschauen sollte. Ich sah in die Gesichter der anderen Menschen, deren Blicke nahezu parallelisiert waren. Ich holte tief Luft und gab mir einen Ruck, um mich aus meiner Lethargie zu befreien. Langsam wurden meine Gedanken wieder klarer und mein Verstand diktierte mir, was ich tun sollte.

Da ich erst kürzlich einen Erste – Hilfe – Kursus absolviert hatte und wusste, wie man jemanden wieder beleben konnte, gab ich meinem feigen Ich einen Stoß und kniete mich zu dem Verletzten, stellte aber bestürzt fest, dass er mit gebrochenen Augen ins Leere starrte.

Er war tot, daran gab es keinen Zweifel, trotzdem versuchte ich, seinen Puls zu fühlen. Keine Chance.

Warum hatte er sich auf einmal selbst erschossen?

Fassungslos schaute der kräftige Mann, der zuvor von dem am Boden liegenden bedroht worden war auf den Selbstmörder. Auch er begriff nicht, was hier geschehen war.

Ein Wahnsinniger?

Hilfesuchend sah ich ihn an und gab ihm zu verstehen, mir dabei zu helfen, den Mann von hier weg zu tragen, doch er schüttelte angewidert den Kopf und machte sich rasch davon.

Na toll! Und jetzt? Der Tote konnte hier schließlich nicht liegen bleiben.

Ich musterte die Menschenmasse, die vor dem Krankenhaus stand.

Unmöglich den Mann ins Krankenhaus zu schaffen. Sie bildeten eine undurchdringliche Mauer.

Ich wusste, dass es neben dem Krankenhaus eine Leichenhalle gab, darum forderte ich einige Männer auf, mir beim Transport des Toten zu helfen.

Doch es ist mitunter erstaunlich, wie viel Platz man selbst im dicksten Gedränge haben kann. Nach langer stummer Diskussion packten zwei weitere Männer mit an und wir schleppten ihn zur Halle. Gott sei Dank war sie geöffnet.

Wir legten ihn auf dem Boden ab. Als ich aus der Halle trat, zitterte ich am ganzen Körper, denn schließlich machte ich so etwas nicht jeden Tag.

Die anderen zwei Männer machten sich, ebenfalls sichtlich mitgenommen, davon.

Anja stand wartend vor der Leichenhalle. Sie war kreidebleich im Gesicht.

Sie hielt, weit von sich gesteckt, mit einem Taschentuch bedeckt, die Pistole in der Hand. Mit letzter Überwindung nahm ich sie ihr vorsichtig ab, ging noch einmal zurück und legte sie neben die Leiche. Als ich wieder draußen stand, wurde mir so richtig bewusst, was sich in den letzten Minuten alles ereignet hatte.

Mein Magen drehte sich um und der nächste Busch durfte sich mein Frühstück ansehen. Unweit der Halle gab es eine Bank, auf die ich mich setzte, um mich ein wenig zu erholen. Allerdings hatten wir beide das Bedürfnis, uns so schnell wie möglich von diesem Ort zu entfernen. Darum stand ich kurze Zeit später mit noch etwas wackeligen Beinen wieder auf, auch wenn mir noch übel und schwindelig war. Ich atmete ein paar Mal tief ein und redete meinem Körper gut zu, sich rasch wieder zu fangen, damit ich wieder mein Rad nutzen konnte. Als ich das Gefühl hatte, dass ich wieder in der Lage war, Rad zu fahren, holten wir unsere Fahrräder und entfernten uns rasch.

Der frische Fahrtwind tat mir gut und langsam erholte sich mein Körper von dem Schock. Es war für mich völlig unbegreiflich, was dort am Krankenhaus geschehen war. Doch nun tauchten tausend Fragen in meinem Kopf auf. Hätte ich nicht die Polizei benachrichtigen müssen?

Hätte ich überhaupt wegfahren dürfen?

Hatte ich überhaupt richtig gehandelt?

Hätte ich ihn nicht ins Krankenhaus bringen müssen, oder einen Arzt verständigen müssen? Aber wie?

Bei der Menschenmenge wäre ich niemals durchgekommen!

Ich schüttelte den Kopf.

Das war im Moment alles einfach zu viel!

Außerdem – wieso hatten wir eigentlich bei einer so großen Menschenmasse keine Polizisten gesehen?

Ich bremste mein Rad und stieg ab. Ich musste zur Polizei und den Vorfall melden. Ich konnte doch nicht einfach nach Hause fahren.

Ich war froh, dass ich mir zuhause einen Block und Stift eingesteckt hatte, denn so konnte ich Anja mitteilen, was ich vorhatte.

Sie nickte und deutete mir an, mich zu begleiten. Zu zweit radelten wir zur nächsten Polizeistation. Doch wie groß war unsere Überraschung als wir ankamen und das Schild lasen, das dort an der Tür angebracht worden war:

Diese Dienststelle ist zurzeit nicht besetzt!

*

Na super! Die Welt steht Kopf und die Polizei macht frei, “ dachte ich.

Doch da öffnete sich die Tür der Polizeistation und ein Polizist trat heraus.

Ich sprach ihn sofort an, um ihm die Situation zu erklären, doch er schüttelte nur mit dem Kopf und deutete auf seine Ohren.

Ich zog meinen Block hervor und schrieb:

Wir müssen reden! Am Krankenhaus hat sich jemand erschossen!“

Er schaute mich entsetzt an und signalisierte mir, einzutreten.

Erleichtert, endlich jemanden gefunden zu haben, der vielleicht helfen konnte, traten wir ein. Wider erwarten waren doch etliche Polizisten vor Ort, auch wenn sie etwas ratlos wirkten. Wieder bemühte ich meinen Block um zu fragen, ob ich das, was geschehen war, nicht am PC wiedergeben könnte, da das schneller ging, als alles handschriftlich zu Papier zu bringen.

Er nickte und so setzte ich mich an einem PC und versuchte, die Geschehnisse vor dem Krankenhaus zu rekapitulieren.

Als ich fertig war, schaute er mich fassungslos an. Er antwortete – natürlich schriftlich – dass, aufgrund der plötzlich aufgetretenen Taubheit der Mitarbeiter sich viele krank gemeldet hatten und somit niemand zur Verfügung stand, der auf Streife gehen konnte. Auch sagte er, dass bereits jemand beauftragt worden sei, die fehlenden Polizisten herzubeordern. Aber, so erklärte er mir weiter, hätten sie noch ein erhebliches Problem mit den Fahrzeugen, da sie ihren Dienst verweigern würden und sich nicht starten ließen.

Weiter schrieb er, dass sich natürlich sofort Beamte um den Todesfall am Krankenhaus kümmern würden.

Offensichtlich hatte ich den Chef der Station erwischt, denn er winkte sofort einige Polizisten heran und deutete auf den Bildschirm. Diese lasen meinen Text. Natürlich tauchten genau die Fragen auf, die ich mir selbst schon gestellt hatte:

Warum hatte ich keinen Arzt zur Hilfe geholt, oder ihn ins Krankenhaus geschafft?“

Ich erklärte, dass dies einfach nicht möglich gewesen sei, da eine Mauer aus Menschen den Eingang des Krankenhauses blockierten. Sie fragten mich auch, ob ich denn auch sicher gewesen sei, dass der Mann tot war. Ich nickte.

Nun legte man uns ein Formular vor, um unsere Personalien festzustellen.

Ich schrieb meinen Namen und Adresse auf: Felix Eligius, 25 Jahre, Radetzkystraße 1, Bietersbrück.

Danach gab ich Anja den Stift, die ebenfalls den Fragebogen ausfüllte: Anja Hintsche, 24 Jahre, Radetzkystraße 1, Bietersbrück.

Danach erkundigte ich mich nach dem Namen des Polizeibeamten.

Er schrieb: Markus Wolfmann und erklärte mir gleichzeitig, dass er diese Polizeidienststelle leitete.

In diesem Moment kam ein weiterer Polizist ins Büro und schaute die anderen betrübt an und schüttelte den Kopf.

Man konnte deutlich die Fragezeichen in den Gesichtern der anderen Polizisten sehen. Er wurde aufgefordert, sich an dem Computer zu setzen und aufzuschreiben, warum er seinen Auftrag nicht ausführen konnte.

Leider bat man uns, im Nebenraum Platz zu nehmen, sodass ich nicht mitbekam, was er schrieb. Nun erwachte der Reporter in mir. Bislang hatte ich noch gar nicht darüber nachgedacht, was hinter dieser ganzen Sache stecken könnte.

Aber so langsam beschlich mich der Verdacht, dass es eine größere Sache sein könnte. Vielleicht entwickelte sich diese merkwürdige allgemeine Taubheit zu einer Sensationsstory!

Viel konnte ich leider nicht aus den Reaktionen der Polizisten interpretieren, nur – dass sie nicht besonders erfreut über die Mitteilung waren, die der Polizist in dem Computer eintippte.

Danach kam Herr Wolfmann, zu mir und deutet an, ihm zu folgen.

Er schrieb am PC, dass wir mit zwei Beamten wieder zum Krankenhaus fahren sollten, um ihnen den Tatort zu zeigen.

Wenig begeistert schaute ich ihn an. Mit Grauen dachte ich an unser Erlebnis am Krankenhaus. Meine Nackenhaare stellten sich unwillkürlich wieder auf und Gänsehaut kroch über meine Arme. Mein Magen signalisierte meinem Gehirn Leere und aufkommende Übelkeit. Da ich vermutete, dass es Anja auch nicht besser erging, fragte ich, ob es nicht möglich sei, dass wir vorher etwas Kaffee und eine Kleinigkeit zu essen bekommen könnten, um den Magen wieder etwas zu beleben.

Er nickte und eine nette Polizistin brachte uns kurz darauf Kaffee und belegte Brötchen. Während wir aßen, schrieb er mir, dass wir uns nach der Tatortsbesichtigung nach Hause begeben und die Wohnung nicht verlassen sollten, da man nicht wusste, was hinter dieser plötzlichen Taubheit stecke.

So nickte ich zwar, aber schließlich war ich mit Leib und Seele Reporter und würde mir sicherlich nicht die sich anbahnende Story entgehen lassen.

Aber das musste Wolfmann ja auch nicht unbedingt wissen. Ich versuchte, einige Informationen durch harmlose Fragen aus ihm herauszukitzeln, aber wenn man alles aufschreiben musste, kam das einfach nicht locker genug herüber und so gab er sich mit seinen Antworten auch sehr zugeknöpft.

Kurze Zeit später fuhren dann zwei für diesen Fall abkommandierte Polizisten, Anja und ich wieder zum Krankenhaus. Geplant war, dass ich ihnen erst die Stelle zeigen sollte, wo der Zwischenfall stattgefunden hatte und anschließend den Ort, wo ich den Toten mit den zwei Helfern abgelegt hatte.

Es bedeutete für uns beide eine ziemliche Überwindung, den Weg wieder zurück zu fahren. Schon als wir uns von weitem dem Krankenhaus näherten, sahen wir, dass immer noch viele Leute vor dem Krankenhaus warteten. Aber – irgendetwas hatte sich verändert.

Es herrschte eine bedrückte, angespannte Atmosphäre. Man sah viele Verletzte, einige saßen sogar auf dem Boden.

Man hatte den Eindruck, es hätte eine Massenschlägerei stattgefunden. Die Polizisten sahen entgeisrtert auf das Bild, das sich ihnen bot.

Anja und ich schauten uns ungläubig an. Was war hier bloß geschehen? Ich versuchte durch die Menge zu kommen, um den Polizisten den Tatort zu zeigen. In Begleitung der beiden Beamten machten uns die Leute zum Glück Platz und schauten uns dabei verwundert an, als wir auf die besagte Stelle zeigten. Ein großer Blutfleck erinnerte noch an die Tragödie.

Die Polizisten kreisten ihn mit Kreide ein. Die Umstehenden schauten uns neugierig und fragend an. Ich zog jedoch nur die Schultern hoch und schüttelte mit dem Kopf. Danach machten wir uns auf dem Weg zur Leichenhalle. Allerdings weigerte ich mich, sie noch mal zu betreten. Gott sei Dank bestanden die beiden auch nicht darauf. Sie verschwanden in der Leichenhalle und kamen einige Zeit später mit der in dem Taschentuch gewickelten Pistole wieder zurück.

Sie schrieben mir auf einen Zettel, dass der Mann in der Leichenhalle tatsächlich tot und außerdem ein alter Bekannter von ihnen sei, der seit geraumer Zeit steckbrieflich gesucht wurde.

Aha“, dachte ich, „das hebt jetzt allerdings auch nicht wirklich mein Wohlbefinden und lässt das Grauen dieses Ortes verblassen.“

Ferner teilten sie uns mit, dass wir jetzt nach Hause fahren könnten. Nach Hause wollte ich noch nicht, aber erst einmal fort von diesem Ort.

Ich schrieb Anja, dass ich mich bei meinem Chef noch krank melden müsse und da das nicht telefonisch gehen würde, wollte ich das noch erledigen, bevor ich endgültig nach Hause fahre.

Sie nickte und deutete mir an, dass sie mich begleiten wolle.

So radelten wir zur Redaktion, die sich unweit der Polizeistation befand.

Irgendwie hatte ich damit gerechnet, dass die Redaktion geschlossen war, so wie viele andere Institutionen an diesem Tag. Denn als wir durch die Stadt fuhren, um zur Redaktion zu gelangen, hatten wir bemerkt, dass viele Läden geschlossen waren mit dem Hinweis auf eine plötzliche Krankheit.

Doch weit gefehlt!

Als ich gegen die Tür drückte, öffnete sie sich und wir gingen ins Büro meines Chefs.

Er schaute hoch, als ich die Tür aufmachte.

Demonstrativ schaute er auf seine Uhr und dann vorwurfsvoll auf mich.

Ich deutete auf meine Ohren, worauf er nickte und mir andeutete, zu ihm zu kommen und mich zu setzen.

Wie schon bei der Polizei, kommunizierten wir über den Computer. Seine erste Frage war doch allen Ernstes, warum ich einen halben Tag blau gemacht hätte.

Das war mal wieder typisch für ihn!

In seinen Augen ist man nur arbeitsunfähig, wenn man alle zehn Finger gebrochen hat. Ich seufzte und erzählte ihm mein morgendliches Erlebnis. Er nickte und schrieb:

Das wird eine gute Story!“, und instruierte mich dann, ich möge einen Artikel schreiben.

Wenn ich das fertig hätte, sollte ich alle Informationen, die bislang in die Redaktion gelangt waren, bearbeiten.

Außerdem sollte ich umgehend anfangen, zu recherchieren, was diese mysteriöse Taubheit ausgelöst hat. Und – so schnell wie möglich, dafür sorgen, dass meine Kollegen ebenfalls im Büro erscheinen, um ihre Arbeit aufzunehmen. Ich dachte:

Der ist echt lustig! Klar, ich ruf sie an!“

Ich schaute ihn fragend an und deutete auf meine Ohren. Er zuckte mit den Schultern und schrieb: „Fahr bitte hin, sie sind leider per SMS nicht zu erreichen. Du weißt ja, wo sie wohnen!“

Ich nickte und schrieb dann:

Okay, dann muss dass andere aber erst einmal warten. Sind denn überhaupt Leute in der Druckerei, die die Zeitung erstellen?“

Er nickte:

Hab ich alles schon organisiert! Jetzt fehlen mir nur noch die Journalisten, damit wir vereint beginnen können, der Sache auf den Grund zu gehen. Du weißt doch, die Konkurrenz ist groß! Die Zeitung, die als erstes die Story bringt, verdient durch eine höhere Auflage das meiste Geld!“

Mein Chef hatte diese Zeitung vor 10 Jahren gegründet und sie verkaufte sich recht gut. Es war zwar nur eine kleine Redaktion, außer mir gab es noch drei weitere fest angestellte Journalisten und Susi Block, unsere kaufmännische Angestellte, die sich halbtags um den Bürokram kümmerte, aber wir konnten uns nicht über mangelnde Arbeit beklagen. Allerdings hatte mein Chef jede Menge freie Journalisten in aller Welt, die ihn mit Stories belieferten. Für Erfolg versprechende Stories zahlte er gut und das machte sich durch eine gute Auflage bezahlt.

Ich wollte mich gerade auf dem Weg machen, als er auf Anja deutete.

Ich schüttelte den Kopf und erklärte ihm, dass sie meine Nachbarin sei und nicht vom Fach.

Es sei reiner Zufall gewesen, dass wir den Morgen zusammen verbracht hätten. Er nickte enttäuscht. Vielleicht hatte er gehofft, schnell noch eine zusätzliche Kraft in die Arbeit mit einbinden zu können, denn schließlich konnte man nicht mit Sicherheit sagen, ob ich alle meine Kollegen zu Hause antreffen würde. Sie konnten sich genauso gut in irgendeiner Menschenmenge vor irgendeinem Krankenhaus oder einem Arzt, der zufällig doch arbeitete, befinden.

Ich hoffte allerdings, sie zu Hause anzutreffen. Vielleicht hatten sie dasselbe festgestellt wie ich, nämlich dass die Taubheit ein allgemeines Phänomen war.

Anja signalisierte mir, dass sie alleine nach Hause fahren wollte, da ich offensichtlich noch arbeiten müsste.

Ich nickte und fragte sie, ob ich sie begleiten solle, doch sie schüttelte mit dem Kopf. So trennten wir uns und ich schnappte mir wieder mein Fahrrad, um meine Arbeitskollegen zusammenzutrommeln.

Diesmal traute ich mich allerdings, die Straße zu nutzen, da sowieso kein einziges Auto zu sehen war.

Ich beschloss, langsam zu fahren, um einerseits so viele Eindrücke wie möglich von dieser ungewöhnlichen Lage in mich aufzusaugen, andererseits aber auch um unbeschadet an mein Ziel anzukommen, da man nie wissen konnte, was passieren würde.

Allerdings stellte ich fest, dass sehr wenig Leute unterwegs waren.

Die Stadt wirkte wie ausgestorben. Kein Auto war weit und breit zu sehen. Da die großen Geschäfte geschlossen waren, wirkte sie nahezu wie eine Geisterstadt. Ich entdeckte eine kleine Bäckerei mit Lebensmittelbereich, die geöffnet hatte. Ich beschloss, mir belegte Brötchen und Getränke zu holen, da ich mit einem langen Abend in der Redaktion rechnete. Es war schon ein komisches Gefühl, den Laden zu betreten, ohne zu wissen, ob man mich jetzt würde hören können oder nicht.

Doch die Besitzerin hatte das Problem prima gelöst. Sie hatte eine große Schiefertafel beschriftet:

Bitte schreiben Sie ihre Wünsche auf!“

Ich holte mir einige Getränke und schrieb dann auf eine kleine Schiefertafel, die auf der Theke lag, was ich sonst noch kaufen wollte.

Als ich aus dem Laden heraustrat, bemerkte ich zwei Männer, die ihre Kapuzen tief ins Gesicht gezogen hatten und auf mich zukamen.

Nichts Gutes ahnend schnappte ich mir mein Fahrrad und wollte die Flucht antreten, als mir klar wurde, dass nicht ich das Ziel war, sondern die Bäckerei.

Die beiden ignorierten mich und betraten den Laden. Ich dachte an die ältere, nette Frau, die mich bedient hatte und stellte mein Fahrrad wieder ab und folgte den beiden.

Wollten die den Laden überfallen?

Irgendwie hatte ich den Eindruck, ich befände mich in einem schlechten Film!

Ich sah, wie die beiden direkt auf die Kasse zugingen, um die alte Dame, die sich ihnen in den Weg stellte, beiseite zu stoßen.

Doch dann weiteten sich meine Augen vor Erstaunen, als ich sah, wie ungeschickt sie sich anstellten. Irgendwie schaffte es der größere der beiden nicht, an die ältere Dame vorbeizukommen, obwohl sie sich ihm im Grunde genommen nur in den Weg gestellt hatte. Es schien so, als prallte er gegen eine unsichtbare Mauer.

Währenddessen beschäftigte sich der etwas kleinere Gauner vergeblich damit, Sachen in einem mitgebrachten Beutel zu verstauen.

Jedes Mal, wenn er zupacken wollte, griff er ins Leere. Die Situation war so grotesk, dass ich mir ein Lachen nicht verkneifen konnte.

Allerdings fragte ich mich doch, was mit den beiden los war, dass sie nicht in der Lage waren, ihren Plan auszuführen.

Nachdem die beiden festgestellt hatten, dass ihre Bemühungen vollkommen zwecklos waren, ergriffen sie die Flucht.

Vorsichtshalber hielt ich ihnen die Tür auf, damit sie nicht zu allem Überfluss noch in ihrer Tollpatschigkeit in die Scheibe stürzten.

Die alte Dame und ich schauten uns an und wir schüttelten den Kopf. Soviel Dummheit und Ungeschicklichkeit entschärfte die eigentlich ernsthafte Lage.

Obwohl das Ganze recht komisch war, fragte ich mich doch beklommen, was die Ursache ihres seltsamen Verhaltens war. Irgendwie hatte ich ein ungutes Gefühl. Ich konnte es mir selbst nicht erklären wieso, aber in meinem tiefsten Inneren sagte mir eine leise Stimme, dass es noch viel schlimmer werden wird. Bei diesem entsetzlichen Gedanken begann mein Herz aufgeregt zu pochen. Ich beruhigte mich und sagte mir, dass ich mir das alles nur einbildete. Doch dann drängten sich wieder die Bilder von heute Morgen am Krankenhaus im Vordergrund, dabei hatte ich sie halbwegs erfolgreich verdrängt. Eine Gänsehaut jagte über meine Arme. Was passierte hier bloß? Ich beruhigte mich, indem ich mir sagte, dass das sicherlich alles nur reiner Zufall sei. Wobei mein Gefühl vehement dagegen protestierte.

Ich atmete tief ein und schaute die alte Dame an. Sie schien relativ gelassen zu sein.

Da nun keine Gefahr mehr drohte, hob ich grüßend die Hand und setzte meinen Weg fort.

Meine Gedanken waren allerdings noch bei der alten Dame und den verhinderten Ganoven.

Die gespenstische Ruhe, die mich umgab, gepaart mit fast menschenleeren Straßen und Gassen, erinnerte mich an den letzten Horrorfilm, den ich gesehen hatte. Da bot sich den Zuschauern ein ähnliches Bild. Der Unterschied bestand allerdings darin, dass im Film ein wahnsinniger Mörder sein Unwesen trieb und sich keiner mehr auf die Straßen traute. Trotzdem lief mir ein Schauer den Rücken herunter und ich wünschte mir, ich wäre zu Hause oder in der Redaktion, umgeben von Leuten und Normalität.

Ich trat kräftig in die Kette und erreichte nach einer halben Stunde mein Ziel. Ich hoffte inständig, dass Peter, mein Arbeitskollege, Zuhause war. Gott sei Dank hatte er eine Erdgeschosswohnung, sodass ich herumgehen und durch die Scheibe sehen konnte, und mich gegebenenfalls bemerkbar machen konnte, falls er da war.

Zu meiner großen Erleichterung sah ich ihn im Wohnzimmer sitzen, das Gesicht in die Hände gestützt. Ich zappelte und hopste vor dem Fenster hin und her, bis er den unruhigen Schatten bemerkte.

Er schaute hoch und sah mich traurig an. Ich bedeutete ihm, mir zu öffnen. Er nickte und stand auf. Blass öffnete er mir die Tür und deutete auf seine Ohren.

Da er mir damit nichts Neues erzählte, schrieb ich mein Anliegen gleich auf meinem Block, doch er schüttelte nur den Kopf.

Wieder schrieb ich in kurzen Worten, was geschehen war. Seine Augen weiteten sich und ich bemerkte eine gewisse Erleichterung, die sich bei ihm breit machte.

Er nahm meinen Block und antwortete mir, dass er mitkommen würde, er sich aber nur rasch umziehen wolle.

Zu zweit radelten wir zu unserem nächsten Kollegen Dennis. Gottlob wohnte er nur einen Steinwurf weit von Peter entfernt. Allerdings hatten wir hier kein Glück. Er wohnte in der zweiten Etage und wir hatten nicht die leiseste Idee, wie wir uns bemerkbar machen konnten. Glücklicherweise verließ zufällig jemand das Haus, sodass wir hineinschlüpfen konnten, um ihm eine Nachricht zu schreiben, die wir dann unter die Tür schoben.

Klaus Becker, der vierte im Bunde, wohnte einige Straßen von meiner Wohnung entfernt. Dort war vor einigen Jahren ein Neubaugebiet entstanden, in welchem er sich eine Doppelhaushälfte gebaut hatte. Seine Frau hatte in dem hier ebenfalls entstandenen Kindergarten Arbeit gefunden, nachdem sie einige Jahre Auszeit wegen ihren beiden Kindern genommen hatte. Inzwischen gingen die Beiden aber in die Grundschule, sodass sie wieder angefangen hatte, zu arbeiten.

Leider trafen wir auch dort niemanden an, hinterließen aber ebenfalls eine Nachricht und fuhren dann zur Redaktion zurück.

Als wir an der Polizeistation vorbeikamen, bemerkte ich, dass dort nun, im Gegensatz zu vor ein paar Stunden, ein reger Betrieb herrschte. Daher entschloss ich mich, dort noch mal vorstellig zu werden, um zu versuchen, etwas in Erfahrung zu bringen.

Ich deutete dies meinem Kollegen an.

Er nickte und zeigte auf die Redaktion.

Ich verstand.

Er jedoch deutete mir an, dass er gleich ins Büro fahren wolle.

Ich zweifelte zwar, dass ich viel Erfolg haben werde – aber:

Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“, dachte ich mir und betrat entschlossen das Polizeigebäude.

Im Gegensatz zu heute Morgen, herrschte eine emsige Betriebsamkeit. Ich beschloss, mich an Herrn Wolfmann zu wenden. Vielleicht bekam ich ja was aus ihm heraus.

Ich zückte meinen Block und setzte mich auf einen der Stühle, die im Flur des Polizeigebäudes standen. Ich überlegte, welche Fragen ich ihm stellen konnte.

Nachdem ich etliche notiert hatte, steuerte ich sein Büro an und öffnete die Tür.

Klopfen machte ja nicht wirklich Sinn!

Er saß vor seinem Rechner und starrte so konzentriert auf seinem Bildschirm, dass er mich nicht bemerkte.

Ich begann mit meinen Armen hin und her zu winken, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.

Nach einiger Zeit gelang mir das auch und er starrte mich etwas verwirrt und fragend an.

Ich legte ihm meine schon vorgeschriebenen Fragen auf dem Tisch.

Erstaunt schaute er erst auf meinem Block und dann auf mich.

Ich ergänzte den Text durch die Erklärung, dass ich bei der Zeitung gleich nebenan arbeitete. In seinem Kopf ging gerade ein Kronleuchter an und er nickte begreifend.

Dann winkte er mich heran und wir kommunizierten, wie am Morgens, per PC.

Etwas erstaunt wollte er wissen, warum ich ihn nicht sofort beim ersten Besuch darauf aufmerksam gemacht habe, dass ich bei einer Zeitung arbeiten würde. Ich zuckte mit den Schultern und schrieb, dass es sicherlich dem Schock zuzuschreiben sei, den ich bei dem morgendlichen Erlebnis bekommen hatte. Verständnisvoll nickte er und schrieb, dass es gut sei, dass sich endlich jemand von der Presse bei ihm meldete, damit die Öffentlichkeit über einige Sachen informiert werden könnte.

Ich nickte und er schrieb dann, unsere Zeitung solle die Bevölkerung darauf hinweisen, dass sich im Moment so eine Art Virus ausbreitet, der Gehörlosigkeit verursachte.

Die Bürger sollten die Ruhe bewahren, denn es würde mit Hochdruck nach der Ursache geforscht.

Bis ein Resultat vorlag sollte die Bevölkerung versuchen – soweit es möglich war, ihren Alltag mit der gewohnten Normalität zu bewältigen.

Ich versprach, sofort mit meinem Chef darüber zu sprechen oder besser gesagt zu schreiben, um dann einen entsprechenden Artikel in die nächste Ausgabe zu setzen.

Als ich das Büro meines Chefs betrat, warf er mir einen Blick zu, der mich tödlich treffen sollte. Ich zeigte ihm mein strahlendes Lächeln und brachte ihn auf den neusten Stand. Widerwillig nickte er anerkennend und deutete mir dann an, mich endlich in mein Büro zu verkrümeln und mit meiner Arbeit zu beginnen.

Ich betrat das Büro, das ich natürlich mit meinen anderen Arbeitskollegen teilte, die inzwischen vollzählig und brav an ihren Schreibtischen saßen und konzentriert auf ihre Bildschirme starrten.

Ich startete meinen PC und stellte fest, dass mein E-Mailfach buchstäblich überlief. Ich hoffte inständig, dass wenigstens die Hälfte Spam war, doch da wir einen guten Filter hatten, befürchtete ich, dass jede Menge Arbeit auf mich wartete.

Als erstes verfasste ich den von der Polizei gewünschten Bericht, den ich, als er fertig war, meinem Chef zuschickte. Er las wichtige Artikel oft noch mal durch, um sicher zu gehen, dass sich keine Fehlerteufel eingeschlichen hatten.

Danach kämpfte ich mich durch den Wust von Mails. Die freien Reporter waren gleichmäßig arbeitstechnisch auf uns vier verteilt. Jeder bekam von seinen Reportern das Neuste zu gemailt, was dann, wenn es brauchbar war, bearbeitet wurde und natürlich auch entsprechend provisionstechnisch abgerechnet werden musste. Gottlob gab es für die Abrechnung ein Programm, in dem man nur einen Code eingeben musste, sodass der Rest dann von unserer Dame bearbeitet werden konnte.

Ich wühlte mich durch die schier unendliche Anzahl der Mails. Dabei stellte ich verblüfft fest, dass sie, obwohl von unterschiedlichen Personen aus unterschiedlichen Ländern und Regionen gesandt, alle ähnlichen Inhalts waren. Überall schienen sich ähnliche Szenen abzuspielen, wie ich sie in unserer Stadt erlebte hatte.

Nur die Mails aus den kriegsgeplagten Ländern lasen sich wie eine Horrorgeschichte. Dort schien alles aus dem Ruder zu laufen.

Tote, Verletzte gepaart mit dem absoluten Chaos. Ich schüttelte den Kopf.

Das wurde immer verrückter! Ich stand auf und ging zu meinen Kollegen. Ich schrieb auf einen Zettel die Frage:

Habt ihr auch Mails mit ähnlichem oder sogar gleichen Inhalt von euren Informanten erhalten?“

Sie nickten mir ratlos zu. Die ganze Sache wurde immer mysteriöser. Was steckte bloß dahinter?

Verwirrt setzte ich mich wieder an meinen Platz und starrte den PC an. Ich entschloss mich, einige Mails auszudrucken, um sie dann in Ruhe miteinander zu vergleichen.

Ich stellte fest, dass es viele Parallelen gab, denn der Verlust der Hörfähigkeit schien sich wie eine Seuche auszubreiten.

Die Berichte aus den Krisengebieten ähnelten sich insofern, dass sie alle eine hohe Selbstmordrate aufwiesen. Das komische hierbei war, dass auch Soldaten, die eigentlich die Terroristen bekämpfen sollten, sich ebenfalls erschossen.

Seltsamerweise versagten die Autos auch woanders auf der Welt ihren Dienst, die Flugzeuge ließen sich nicht starten und konnten nicht abheben und die Züge fuhren nicht.

In vielen Teilen der Erde war das Stromnetz sehr labil oder war ganz zusammengebrochen.

Besonders in den Krisengebieten herrschte das totale Chaos. Aber auch die großen Industrienationen wie Indien, China und die USA waren davon betroffen. Ich begann, die Berichte zusammenzufassen, als mir einfiel, dass meine Kollegen möglicherweise genau dieselben Meldungen bekamen.

Normalerweise hatte jeder seinen eigenen Bereich, den er zu bearbeiten hatte. Aber bei der auffälligen Ähnlichkeit der Vorkommnisse machte es sicherlich Sinn, die Texte aufeinander abzustimmen. Den gleichen Gedanken schienen die anderen auch zu haben, denn wir schauten fast gleichzeitig hoch.

Ich grinste. Es war schon lustig. Ein eingespieltes Team versteht sich auch ohne Worte. Wir einigten uns darauf, dass zwei an der Zusammenfassung der zugesandten Berichte arbeiteten und die anderen regionale Begebenheiten mit eigenen Erfahrungen wiedergeben sollten.

So erzählte Dennis, einer meiner Kollegen, dass sein Nachbar ihn morgens abgepasst hatte, als er seine Wohnung verließ, um ihn darum zu bitten, sein Hörgerät neu einzustellen. Jener Nachbar, ein älterer Herr, war recht schwerhörig und dachte, als er nichts mehr hören konnte, es läge an seinem Gerät. Dennis versuchte vergeblich ihm klarzumachen, dass es nicht sein Hörgerät war, was versagte.

Man stelle sich einen Dialog zwischen zwei Leuten vor, die sich nicht hören können, wovon der eine aber nicht wusste, dass der andere ihn nicht hören konnte. Wenn man der Zeichensprache nicht mächtig ist, ist dies ein äußerst schwieriges Unterfangen. Es endete dann auch damit, dass der Nachbar erbost und unverstanden wieder seines Weges ging.

Natürlich konnte man das nicht veröffentlichen, aber es lockerte die doch recht seltsame Situation, in der wir uns befanden etwas auf.

Auf einmal grinste Klaus, mein anderer Kollege und meinte, jetzt könnten seine Kinder ja ruhig Krach machen, ohne dass sich die Nachbarn beschwerten.

Ich nickte. In puncto Krach waren meine Nachbarn auch sensibel. Arbeitete ich länger und wollte dann noch meine Wohnung sauber machen, klopfte garantiert der untere Mieter mit dem Besen an die Decke, wenn es nach 22 Uhr war.

Dabei war es gar nicht so einfach, alles das, was Krach machte, bis 22 Uhr zu erledigen. Wenn man nach einem langen Arbeitstag noch etwas eingekauft hatte und dann nach Hause kam, war das Zeitfenster, Lärm in seiner Wohnung zu machen, schnell geschlossen.

Ich hatte recht spezielle „ nette“ Nachbarn. Ein älteres Ehepaar, beide Rentner. Sie war zwar nicht ganz so schlimm, aber er war ein absolutes Ekel.

Er stand morgens auf und marschierte nach dem Frühstück in die Stadt, um alle Verkehrsvergehen der Autofahrer zu notieren und zur Anzeige zu bringen. Gott sei Dank reagierte die Polizei nicht mehr auf seine Flut von Anzeigen.

Was ihn allerdings nicht daran hinderte, trotzdem weiterzumachen. Da im Moment keine Autos fuhren, war Ekel-Alfred- wie ich ihn getauft hatte, da ich immer an die TV Serie „ ein Herz und eine Seele“ dachte, wenn ich ihn sah, jetzt erst einmal arbeitslos. Ein Segen für die Menschheit!

Sie hingegen hatte trotz ihres Alters ein äußerst empfindliches Gehör und Lärm machte sie krank. Als ich daran dachte, musste ich auch grinsen. Jetzt wurde ihre Ruhe durch nichts gestört. Aber wahrscheinlich war ihr die totale Stille auch nicht recht.

Ich widmete mich wieder den unzähligen Mails, um daraus einen Bericht zu verfassen.

Ich war so vertieft in meiner Arbeit, dass ich erschrak, als mich jemand auf die Schulter klopfte.

Ich blickte hoch und sah meinen Chef einen Zettel in die Hand haltend worauf stand:

Ist der Bericht fertig?“

Ich nickte und deutete ihm an, dass ich ihm den Bericht schon längst zugeschickt hatte. Stirnrunzelnd ging er zurück in sein Büro. Ich grinste in mich hinein. Offensichtlich hatte er seine ganzen Mails auch noch nicht abgearbeitet.

Ich schaute auf meine Uhr. 21 Uhr! Meine Güte, wie schnell die Zeit vergangen war!

Ich bedauerte insgeheim die Arbeiter in der Druckerei, die in der heutigen Nachtschicht sicherlich einen Megastress haben werden.

Ich beschloss, Feierabend zu machen. Meine anderen Kollegen befanden sich auch gerade in Aufbruchstimmung und so verließen wir gemeinsam die Redaktion.

Während der Arbeit hatte ich die Stille ausblenden können, doch als ich jetzt auf der Straße stand, prallte die ungewöhnliche Situation mit aller Macht auf mich ein. Ich schaute meine Arbeitskollegen an. Auch sie schienen dasselbe zu empfinden wie ich.

Bedrückt verabschiedeten wir uns tonlos und jeder machte sich auf dem Nachhauseweg.

Während ich radelte, musste ich die Gehörlosen bewundern, die ihr ganzes Leben in dieser Stille verbringen müssen.

Erst wenn man sich selbst in derselben Lage befand, verstand man, welch eine Herausforderung dies jeden Tag aufs Neue darstellte.

Allerdings konnte ich es mir einfach nicht erklären, warum sich diese Stille so plötzlich auf die Welt gelegt hatte. Warum bestimmte Dinge gar nicht oder nur eingeschränkt funktionierten. Es musste doch dafür einen logischen Grund geben. So etwas passierte doch nicht einfach so!

Aber – es war passiert!

Meine Gedanken kreisten unaufhörlich um diese Frage.

Als ich meine Wohnungstür öffnen wollte, klebte eine Nachricht von Anja daran:

Bitte melde dich bei mir, wenn du wieder zuhause bist!“

Meine Laune hob sich schlagartig. Rasch betrat ich meine Wohnung und machte mich frisch.

Im Vorbeigehen aß ich schnell ein fertig gemachtes Brot.

Als ich bei ihr vor der Tür stand, las ich ihre Nachricht:

Bitte einfach klingeln!“

Ich schüttelte den Kopf und fragte mich, wie sie die denn hören wollte, aber ich folgte brav der Anweisung. Überrascht stellte ich fest, dass sie tatsächlich kurz darauf die Tür öffnete. Lächelnd bat sie mich mit einer einladenden Geste einzutreten. Sie sah es wohl an meinem Gesicht, dass ich sie fragen wollte, wieso sie das klingeln gehört hatte, darum deutete sie auf eine Lampe, die noch am blinken war.

Na, das ist ja mal genial!“, dachte ich.

Man muss sich nur zu helfen wissen.

Sie hatte ihren Laptop an und so begannen wir, darüber zu kommunizieren.

Sie erzählte mir, dass sie in einer Einrichtung für Gehörlose arbeitete. Da jene auf optische Hilfsmittel angewiesen waren, war ihr vor einiger Zeit die Idee gekommen, sich ebenfalls eine Alarmlampe zu kaufen und anzubringen. Diese Idee hatte sich jetzt bezahlt gemacht.

Sie erzählte mir, dass sie, nachdem wir uns getrennt hatten, nach Hause gefahren war. Eigentlich wollte sie verreisen, da sie vierzehn Tage Urlaub hatte. Doch aufgrund der merkwürdigen Vorkommnisse, habe sie sich entschlossen, das Reisebüro aufzusuchen, um ihre Reise zu stornieren, denn sie hatte eine Reiserücktrittsversicherung.

Jedoch hatte sie feststellen müssen, dass es geschlossen hatte.

Sie war erst unschlüssig, was sie machen sollte, aber da sie genug Zeit hatte und nicht den ganzen Tag in ihrer Wohnung hocken wollte, entschloss sie sich zum Flughafen zu radeln, um zu schauen, ob es überhaupt möglich war, die Reise anzutreten.

Ich pfiff zwischen die Zähne, denn der Flughafen lag außerhalb der Stadt und befand sich ungefähr dreißig Kilometer von unserer Wohnung entfernt.

Am Flughafen, so berichtete sie weiter, herrschte eine gähnende Leere. Nur einige Sicherheitspolizisten patrouillieren im Gebäude und schickten sie auch prompt wieder fort.

Danach war sie dann zu ihrer Arbeitsstelle gefahren, aber auch dort traf sie niemanden an. So war ihr Tag von wenig Erfolg gekrönt gewesen. Frustriert und müde war sie wieder nach Hause gefahren und hatte mir dann die Nachricht an die Tür geklebt, in der Hoffnung, dass ich ihr was Neues und Positives erzählen konnte.

Leider konnte ich das nicht, aber ich hatte das Gefühl, dass meine Anwesenheit ihr Geborgenheit vermittelte.

Auch ich fühlte mich sehr wohl in ihrer Gegenwart.

Nun berichtete ich ihr, was ich am Nachmittag gemacht hatte und was ich durch die vielen Mails in Erfahrung gebracht hatte. Sie konnte sich, so wie ich, genauso wenig einen Reim aus den Geschehnissen des Tages machen.

Aber sie vermutete, dass hinter dem Ganzen eine große Macht steckte. Aber wer? Wer hatte einen Vorteil davon, die Welt in ein Chaos zu stürzen? Darauf wusste natürlich weder sie noch ich eine Antwort.

War es eine starke Terrororganisation, die versuchte, ein heilloses Durcheinander zu verursachen. War es doch ein Virus, der freigesetzt, den menschlichen Organismus angriff? Aber warum funktionierten die technischen Sachen nur bedingt. Ach man, das ergab doch alles keinen Sinn!

Ich seufzte. Anja sah mich so traurig an, dass ich impulsiv meinen Arm um sie legte.

Sie lehnte ihren Kopf an meine Brust. Mein Herz klopfte vor Aufregung. Es war schon eine Weile her, dass sich ein Mädchen an mich gedrückt hatte. Ich atmete ihren berauschenden Duft ein. Meine Hand lag auf ihrer glatten und samtweichen Haut. Ich warf einen verstohlenen Blick auf ihr hübsches, leicht gebräuntes Gesicht, dass von ihren dunklen Haaren umspielt wurde. Sie wirkte so zerbrechlich, sodass sich in mir mein Beschützerinstinkt ausbreitete und ich das Bedürfnis hatte, sie vor allen Gefahren zu bewahren. So saßen wir still in trauter Umarmung. Ich traute mich nicht, mich zu rühren, um die romantische Stimmung nicht zu zerstören.

Doch irgendwann stieg in mir die Müdigkeit hoch und nahm gewaltsam von meinem Körper Besitz. Ich unterdrückte ein Gähnen, worauf Anja mich süß anlächelte und meinte, auch sie sei müde.

Der Tag war letztendlich für uns beide sehr aufregend und anstrengend gewesen. Nun forderte die Natur ihr Recht. So entschloss ich mich schweren Herzens in meine Wohnung zurückzukehren. Allerdings nicht ohne mich mit ihr am nächsten Abend zu verabreden. Sie strahlte mich glücklich an.

Erschöpft ließ ich mich einige Zeit später ins Bett fallen. Trotz des wirklich üblen Tages war mir leicht ums Herz. Die an und für sich schreckliche Erscheinung der Taubheit hatte Anja und mich näher gebracht. Wenigstens etwas Positives, was ich an diesem Tag verzeichnen konnte.

Flüchtig dachte ich an meine Wohnung, an der ich eigentlich noch Hand anlegen müßte, denn das Chaos war nicht mal mehr als geordnet zu bezeichnen, ganz zu schweigen von den Wollmäusen, die sich in den Ecken sehr wohl fühlten, aber das musste definitiv warten.

Ich brauchte jetzt unbedingt meinen Schönheitsschlaf.

Plötzlich hörte ich Vogelgezwitscher. Ich öffnete meine Augen und blinzelte, weil die Sonne mir direkt in die Augen schien.

Verwirrt schaute ich mich um. Ich befand mich auf einer grünen Wiese. Der warme Rasen schmiegte sich weich an meinen Füßen. Bei näherer Betrachtung erkannte ich den Stadtpark. In der Nähe befand sich ein Spielplatz, auf dem fröhlich lachende Kinder spielten.

Ich hörte sie lachen! Glücklich stellte ich fest, dass alle Geräusche wieder da waren.

Vergnügt machte ich mich auf dem Weg, um festzustellen, ob wirklich alles wieder so war, wie immer, als mir plötzlich ein Mann den Weg versperrte.

Erstaunt schaute ich ihn an, doch er hob sofort drohend ein Gewehr und machte Anstalten, auf mich zu schießen!

Was war das denn?

Woher kam er so unerwartet?

Ich nahm meine Beine in die Hand und rannte so schnell ich konnte fort.

Ich hörte, wie die Kugeln neben mir einschlugen. Ich musste unbedingt die nächste Baumreihe erreichen, um Schutz vor den Kugeln zu finden.

Doch so sehr ich mich auch bemühte, ich kam nicht von der Stelle und die Bäume schauten mich traurig aus der Ferne an.

Panik stieg in mir auf. Ich hörte ihn wutentbrannt schreien, allerdings verstand ich seine Worte nicht.

Schweiß brach mir aus.

Angsterfüllt blickte ich mich um und bemerkte, dass alles um mich herum dunkel und grau geworden war und die Schüsse immer leiser wurden und zum Schluss ganz verstummten.

Plötzlich war ich umgeben von einer undurchdringlichen Dunkelheit und Stille.

Mit weit aufgerissenen Augen tastete ich mich vorwärts.

Der Boden unter meinen nackten Füssen fühlte sich glatt und kalt an.

Mit den Händen berührte ich Holz. Ich tastete mich weiter, mich verzweifelt fragend, wo ich mich befand.

Dann eine Wand. Ich fühlte eine Tapete. Ich tastete mich vorsichtig an der Wand entlang. Irgendwann berührte ich einen Schalter, den ich betätigte. Licht ging an.

Ich schaute mich um und stellte fest, dass ich mich in meinem Schlafzimmer befand.

Offensichtlich hatte ich schlecht geträumt und zu allem Überfluss schlafgewandelt. Das war mir ja lange nicht mehr passiert! Verwirrt schüttelte ich den Kopf.

Es war alles so real gewesen.

So furchtbar real.

Ich setzte mich auf mein Bett und dachte nach. Ich konnte mich an jede Einzelheit erinnern.

Aber wahrscheinlich war die Aufregung des vergangenen Tages doch zu groß gewesen, sodass mein Geist im Traum das Erlebte verarbeitet hatte.

Ich stand wieder auf und ging in die Küche, um mir etwas Wasser zum Trinken zu holen.

Mit dem Glas in der Hand wanderte ich ins Wohnzimmer und öffnete die Balkontür und

trat in die laue Mailuft hinaus.

Hell funkelten die Sterne wie kleine Fackeln am Himmel. Der Vollmond warf mit aller Kraft sein Licht auf die Erde. Mein Blick schweifte über die dunkle Straße.

Das Licht der Straßenlaternen flackerte unruhig und erlöschte kurz darauf gänzlich.

Verwundert runzelte ich die Stirn. Offenbar wollte die Stadt neuerdings nachts Strom sparen und schaltete die Straßenbeleuchtung aus. Ich schüttelte den Kopf und dachte:

Wozu zahlen wir eigentlich soviel Steuern, wenn wir nachts unterwegs sind und uns im dunkeln nach Hause tasten müssen?“

Ich leerte mein Glas und ging wieder ins Schlafzimmer, um weiterzuschlafen.

Das war jedoch nicht so einfach, da der Alptraum meinen Adrenalinspiegel dermaßen aufgeputscht hatte, dass ich nun hellwach war.

Ich dachte über meinen Traum nach.

Die grüne Wiese, die lachenden und spielenden Kinder und dann der Mann mit dem Gewehr. Erst Harmonie und dann das totale Grauen. Wie passte das zusammen?

Ich schüttelte den Kopf, Gar nicht! Es war einfach nur ein blöder Traum. Ärgerlich drehte ich mich auf die andere Seite in der Hoffnung, endlich einzuschlafen.

Natürlich klappte es nicht.

Ich war einfach wach!

Seufzend stand ich wieder auf und holte mir ein Buch. Bei Einschlafproblemen half mir das Lesen immer.

Gerade hatte ich es mir im Bett wieder gemütlich gemacht und wollte anfangen zu lesen, als auch mein Licht flackerte und ausging.

Ich stöhnte innerlich. Heute schien alles gegen mich verschworen zu sein.

Ich krabbelte wieder aus meinem Bett, tastete mich an der Wand entlang zum Fenster und zog die Rollladen hoch.

Der Mond warf großzügigerweise sein Licht in mein Zimmer und erhellte es etwas. Natürlich reichte es nicht aus, um zu lesen.

Also beschloss ich, mich wieder hinzulegen, um vom Bett aus in den Himmel zu schauen.

Sterne faszinierten mich schon seit Kindheit an. Diese blitzenden, fernen Planeten lockten seit Menschengedenken Wissenschaftler an, die die Rätsel dieser fernen Welten lösen wollten.

So boten sie immer wieder Stoff zum Träumen.

Ich stellte mir vor, ich wäre auf einen fernen Planeten, auf dem es keine Krankheiten gab. Die Bewohner lebten glücklich und zufrieden miteinander. Hass und Gewalt wären ihnen fremd. Oh man! Welch heile Welt!

Ich dachte an unsere Erde, die voller machtgieriger Despoten war. Seufzend entdeckte ich einen hell leuchtenden Stern:

Könnte Sirius sein“, dachte ich und schloss die Augen.

Jedoch sah ich immer noch den hellen Punkt vor meinem inneren Auge. Um einschlafen zu können konnte man Schäfchen zählen oder helle Sterne aufzählen. Ich entschloss mich für das letztere und ging in Gedanken alle von der Erde aus erkennbaren hellen Sterne durch: Sonne, Sirius, Canopus, Arcturus, Alpha Centauri, Wega, Capella………..

Juni 11

www.com

Ach, was war es herrlich
sagen wir´s mal ehrlich
unbeschwert durch die Welt zu gehen
ohne ständig auf das Handy zu sehen.

Doch des Forschers Drang
ist wie ein unerbittlicher Zwang
immer etwas Neues zu entdecken
und das Morgen schon heute zu erwecken.

So entstand ein kleines Bit
es war schlicht weg ein Hit!
Der Erfolg war sensationell
es war wahnsinnig schnell.

Noch breitete es sich aus
in seinem riesengroßen Haus,
voller Mechanik
mit ein wenig Elektronik.

Wie einst der Mensch noch primitiv
in großen Höhlen schlief
sich von der Natur ernährte
was sich durchaus auch bewährte.

Doch das Bit wuchs kräftig
und entwickelte sich prächtig
sein Haus wurde immer kleiner
die Motorik immer feiner.

Aus dem kleinen Bit wurde ein Byte
doch schnell war auch dies bereit
hineinzugleiten
und sich weiter auszubreiten
in ungeahnte Sphären
um sich zu vermehren.

So entwickelte sich das Bit rasant
und ist nun als Petabyte bekannt.
Schlüpft in vielen Rollen
so wie es die Menschen wollen.

Auch der Mensch mit seiner neugierigen Art
kam so richtig in Fahrt
und stieg weiter
hoch auf der Evolutionsleiter.

Der helle Kopf
unterwarf den armen Tropf,
um ihn auszunutzen
und sich selbst herauszuputzen.

Jener der sich keine Ehre bewahrt
und nicht mit Grausamkeit spart
versklavt die Schwachen
fürwahr sie haben nichts zu lachen,
müssen ihm zu Willen sein
und sind sie noch so klein!

Noch ist´s nicht vorbei
mit der Sklaverei
doch sind´s vermehrt die Maschinen
die den Menschen dienen.

Einst ward es noch sehr kontrolliert
was von den Maschinen produziert.
Doch die Maschinen wurden schlauer
und vor allen Dingen genauer
drum wurde so manche Arbeitskraft
im Zuge dessen abgeschafft.

Die Maschinen haben nun die Macht
hat der Mensch das wohl bedacht?
Denn wenn die Technik nicht mehr will
steht inzwischen die halbe Welt still.

Denn seht, wer nun kommandiert
und in Wirklichkeit regiert
mit immenser Komplexität
die über den Verstand des Menschen geht.

Dass der Mensch den Mensch unterdrückt
schon bald in weite Ferne rückt.
Die Seelenlosen übernehmen die Kontrolle
und spielen dabei die Hauptrolle.
Nie wird man mehr sicher sein
dazu ist die Welt derweil zu klein!

Jeder kann jeden erreichen
niemand kann mehr ausweichen
denn ein kleiner Chip
gibt den entscheidenden Tipp.

Ungeachtet dessen
wird schlicht vergessen
wenn man im Internet ist
dass das Netz nie vergisst.

Akribisch notiert
und registriert
sorgfältig datiert
und archiviert.
Es lebe der Informationsfluss!
ein jeder kommt in diesem Genuss!

Schon immer war´s dem Mensch zu eigen
zur Selbstdarstellung zu neigen
sicherlich ward´s nicht verkehrt
uns so eine lebendige Vergangenheit beschert.
Doch was sie uns lehrte
bislang den Menschen wenig scherte!

Der immense Datenfluss
bringt so manchem argen Verdruss
öffnet er doch Tür und Tor
und Missbrauch kommt jetzt häufig vor!

So hat sich das kleine Bit vereint
des Datenschützers Herze weint
mit der Macht dieser Welt
die nichts von Rechten hält!

So ist der Fortschritt
auch ein Rückschritt
es flieht die Anonymität
mit ihr die Freiheit geht!

Computer
diktieren
navigieren
kontrollieren
konstruieren
Roboter.

Sie sind Ersatz
Mensch mach Platz!
Einst aus der Höhle gekrochen
die Zukunft gerochen
wurde nun eine neue Generation geboren
herzlos und dazu auserkoren
eine Ära einzuleiten,
die Macht auf wenige auszubreiten.

Anne Düpjohann Mai 2015

April 9

Frühlingsgefühle

Der Frühling ist erwacht
die Sonne scheint und lacht
leider nicht nur
über Feld und Flur.

Noch fegen
kalter Schnee und Regen
doch ist`s des Winters letzter Atemzug
der kalten Starre ist`s nun genug!

Denn durch die Wärme wach geküsst
und vom hellen Licht begrüßt
fängt alles an zu sprießen
um das neue Leben zu genießen.

Auch die Hormone
sind nicht ohne
wie sie durch den Körper sausen
voller Lust und voller Flausen
das Herz, ach wie es hüpft
die Liebe, verstohlen sie schlüpft.

Herzchen und Smileys in einer Tour
und auch die Tiere in der Natur
machen es auf ihrer Weise
mitunter auch nicht grad leise.

So ist der Liebende entzückt
der Realität entrückt
und gerät in dieser Phase
gar in Ekstase.

Ist die Liebe auch wie ein Wahn
der Natur wird recht getan
denn es entsteht erneut das Leben
um dem Dasein einen Sinn zu geben.

So ist`s die Liebe, nie der Hass
die dafür sorgt ohn Unterlass
dass die Welt weiterbesteht
und nicht durch Unheil untergeht.

Anne Düpjohann, April 2015